Stillgelegte Eisenbahnstrecken heute
Erinnerungen an die Eisenbahnstrecke Altenburg – Langenleuba-Oberhain
Im November 1895 schlossen das Herzogtum Sachsen-Altenburg und das Königreich Sachsen einen Staatsvertrag zum Bau einer Eisenbahnlinie ab. Diese sollte die jeweils nach Süden führenden Hauptstrecken Leipzig – Hof (LH-Linie) und (Neu)Kieritzsch – Chemnitz (KC-Linie) in West-Ost-Richtung miteinander verbinden. Als Anfangspunkt der neuen Strecke wurde offiziell Altenburg festgelegt, doch der neu zu errichtende Teil begann 3,43 km südlich in Kotteritz (1959 in Nobitz umbenannt) und mündete nach 22 km in Langenleuba-Oberhain in die Strecke Rochlitz – Penig, auf der nach knapp 5 km in Narsdorf die KC-Linie erreicht war.
Nach Klärung der Finanzierungsfragen erteilten die beiden Länder 1899 die Baugenehmigungen. Im Sommer desselben Jahres fiel in Altenburg der Startschuss. Bauherr und Eigentümer der Strecke waren die Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen (K.Sächs.Sts.E.B.), wobei sich mit 16,31 km Länge der Großteil der bahnamtlich als AL-Linie bezeichneten Verbindung auf dem Gebiet des Herzogtums Sachsen-Altenburg befand.
Topographische Gegebenheiten sowie ungünstige Bodenverhältnisse machten Einschnitte, Dammschüttungen und umfangreiche Hochbauten erforderlich. In der Hauptbauzeit waren bis zu 2500 Arbeiter an der AL-Linie beschäftigt, darunter viele Italiener, Polen und Kroaten. Der höchste Punkt der Linie war bei Boderitz erreicht, der tiefste bei Frohnsdorf. Die Höhendifferenz betrug 93 m. Es galt, entlang der Strecke insgesamt 16 Brücken und Wegüberführungen zu errichten. Die größten Bauwerke dieser Art prägen noch heute als Landmarken das östliche Altenburger Land.
Spezialität Stampfbetonbrücken
Anders als in den vorangegangenen Jahrzehnten begann man Ende des 19. Jahrhunderts den Brückenbau zunehmend ökonomischer und rationeller zu gestalten. Die Herstellung von Stampfbeton war billiger als das Brechen und Bearbeiten von Natursteinen oder die Produktion von Stahl und erfreute sich Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmender Beliebtheit.
Neu war zudem die spezifische Verbindung von Ästhetik und Produktivität. Die moderne Industriearchitektur war zwar im frühen 20. Jahrhundert stark vom Ideal des Effizienzgedankens geprägt, allerdings gingen in einigen wichtigen Aspekten die Architekten weiter als ihre Vorbilder aus dem Ingenieurwesen. In naheliegender Weise betraf dies hauptsächlich den Gesichtspunkt des optischen Erscheinungsbildes der Bauwerke. Eindrucksvoll lässt sich das an den Reliefflächen und den Klinkerelementen der Brücken erkennen, welche besonders den kulturellen Wandel der technischen Entwicklung repräsentieren.
Die Arbeiten an den Fundamenten dieser gewaltigen Bauwerke bereiteten große Schwierigkeiten, so dass bis zu 150 Pfähle pro Pfeiler in das sumpfige und tonige Gelände gerammt werden mussten, stellenweise bis zu 15 m tief. Das kleinste Bauwerk dieser Art der AL-Linie ist die Flutunterführung nahe des Bahnhofes Kotteritz (40 m lang, 5,50 m hoch), das längste steht bei Frohnsdorf (Wiesebachviadukt 330 m lang, bis zu 18 m hoch, 17 Bögen). Außerdem entstanden z. B. das Viadukt in Nirkendorf (232 m lang, 15 m hoch), die Talbrücke in Beiern (48 m lang, 11 m hoch), die Heidelbachbrücke (112 m lang, 18 m hoch) und die Brücke in Steinbach (107 m lang, 14 m hoch), die allesamt bis heute vorhanden sind. Vermutlich handelt es sich dabei um die ältesten in Deutschland noch erhaltenen Betongewölbe in dieser Größenordnung. Dementsprechend wurden sie im Jahr 2009 als Baudenkmale ins Thüringer Denkmalbuch eingetragen.
Die Bahnstationen Nobitz, Ehrenhain, Boderitz, Beiern-Langenleuba und Langenleuba-Oberhain erhielten massive Stationsgebäude in Klinkerbauweise, die Haltepunkte in Klausa, Wiesebach, Steinbach (bis 1952 Kr Altenburg) und Wernsdorf einfache Holzwartehäuschen.
Fertiggestellt wurde die Strecke im ersten Halbjahr 1901 und die feierliche Eröffnungsfahrt fand am 14. Juni 1901 statt.
Aus den Betriebsjahrzehnten
Der Personenverkehr spielte in dieser relativ dünn besiedelten Region nie eine große Rolle und wurde anfänglich mit Tenderlokomotiven der sächsischen Gattung V T (Baureihen 892) durchgeführt. In der frühen Reichsbahnzeit kamen u. a. auch Dampflokomotiven der Baureihen 74 (preußische T 12), 64 und 86 zum Einsatz. Die letzten regulär im Personenzugdienst eingesetzten Dampflokmotiven waren die Neubauloks der Baureihe 83. Um die Wirtschaftlichkeit auf den Nebenbahnstrecken zu verbessern, wurde in den 1960ern Jahren mit Hochdruck daran gearbeitet, die dampflokbespannten Personenzüge durch Dieseltriebwagen zu ersetzen. Damit konnte der personal- und brennstoffintensive Zugbetrieb beendet werden und die Leichtverbrennungstriebwagen (LVT) eroberten ab 1969 auch die Gleise des Altenburger Landes. Über ein Vierteljahrhundert prägten diese Fahrzeuge den Einsatz auf der AL-Linie. Lediglich bei Ausfall dieser Einheiten kamen mit Diesellokomotiven der Baureihe V60/106 bespannte Ersatzgarnituren zum Einsatz.
Der Güterverkehr hatte von Anbeginn an eine wesentlich größere Bedeutung für diese Strecke. Insgesamt elf Anschließer waren Kunden der Eisenbahn und mindestens 13 weitere Betriebe haben ihre Waren mit der Bahn versandt oder erhalten. Kurioserweise wurden in Nobitz überwiegend auch für Altenburg bestimmte Güterwagen be- und entladen. Der Hintergrund dafür war, dass die tarifliche Standzeit der Waggons in Altenburg auf drei Stunden begrenzt war. In Nobitz bestand dafür mehr als ausreichend Zeit, da die Wagen ja erst am nächsten Tag wieder abgeholt wurden. So sparten sich zahlreiche Unternehmen das sonst fällige Standgeld.
Der Nahgüterzug in Richtung Narsdorf wurde in den ersten Reichsbahnjahrzehnten vermutlich von Lokomotiven der Baureihen 57 (preußische G10) und 58 („G12-Familie“) geführt. Zwischen 1968 und November 1980 wurde er mit Dampflokomotiven der Baureihe 52 gefahren. Danach kamen bis Ende August 1983 Dieselloks der Baureihe 118 zum Einsatz. Mitte der 1980er Jahre reaktivierte die Deutsche Reichsbahn aufgrund der Energiekrise, die zu einer massiven Verteuerung der Ölimporte aus der Sowjetunion geführt hatte, zahlreiche Dampfloks, um Dieselkraftstoff einzusparen.
So nahm die DR auch auf der AL-Linie am 1. September 1983 den Dampfbetrieb wieder auf. Diese Renaissance dauerte bis zum Mai 1985. Dann fand der endgültige Wechsel auf die Dieseltraktion statt, wenngleich vereinzelt noch Altenburger 52er einsprangen. Die letzte reguläre Dampflokfahrt unter DR-Hoheit datiert vom 23. Oktober 1988.
Die letzten Betriebsjahre
Neben dem Nahgüterzug nach Beiern-Langenleuba gab es noch zwei werktägliche Übergaben zum sowjetischen Militär-Flugplatz in Nobitz. Nicht nur die Luftstreitkräfte erhielten so Kesselwagen mit Flugbenzin, Waggons mit Rohbraunkohle und gedeckten Güterwagen mit Waren des täglichen Bedarfs. sondern auch das Baustoffkombinat Nobitz seine Frachten. Die Übergaben zum Flugplatz wurden planmäßig mit dieselhydraulischen Rangierlokomotiven der Baureihen 106 und 111 gefahren. Daneben gab es auch brisante Militärtransporte, die nach der Dienstvorschrift für Militärtransporte (DV 422/MT) abgewickelt wurden. Diese nur bei Dunkelheit und mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen verkehrenden Spezialzüge enthielten auch umgespurte Breitspurwagen. Das Zugpersonal hatte diese Wagen in den Anschluss zu stellen, sich dann wieder zu entfernen und durfte erst nach Beendigung der Ladetätigkeit mit der Lok wieder aufs Gelände. Der Flugplatz hatte zwar keine eigene Rangierlok, aber der Verschub wurde mit Lkw-Technik durchgeführt. Die letzten Befahrungen des Anschlussgleises zum Flugplatz nach Abzug der Sowjetarmee und der Stilllegung der angeschlossenen Betriebe waren die Zubringerzüge zum Flugplatzfest in den Jahren 1993/94.
Mit der im Jahr 1916 über ein 4 km langes Anschlussgleis erfolgten Anbindung des am Leinawald bei Klausa existierenden Flugstützpunktes, der fortwährend ausgebaut und immer wieder erweitert wurde, standen auch zunehmend militärstrategische Aspekte im Fokus der AL-Linie und verhinderten so u. U. auch eine Betriebseinstellung bereits zu DDR-Zeiten, denn in den 1980er Jahren hatte sich der Personenverkehr auf sieben bis acht Zugpaare beschränkt und außer dem Flugplatz gab es auf Thüringer Seite nur noch drei Güterkunden: das Baustoffkombinat vor den Toren des Flugplatzes, das Agrochemische Zentrum (ACZ) Ehrenhain und die Sandverladung in Beiern-Langenleuba.
Unterstützt wird diese Vermutung durch die Tatsache, dass im Jahr 1956 ein Verbindungsbogen von Paditz an die bestehende Strecke gebaut wurde, der für den bestehenden Personenverkehr ohne jeglichen Nutzen war. Nach Aussagen von Zeitzeugen fanden über die Verbindungskurve während des Bestehens weder planmäßige noch außerplanmäßige Zugfahrten statt. Im militärischen Ernstfall wäre es so jedoch möglich gewesen, ohne Richtungswechsel von Weimar über Jena, Gera, Schmölln und Rochlitz nach Waldheim zu fahren, um von dort auf direktem Wege weiter Richtung Osten zu gelangen, quasi einmal quer durch Mitteldeutschland abseits der großen Magistralen und Ballungszentren.
Nach der Wende organisierten Eisenbahnenthusiasten in den Jahren 1990 bis 1995 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung Sonderfahrten auf der Narsdorfer Schiene und so konnte „König Dampf“ nochmals auf den Viadukten erlebt werden.
Doch die Trasse hatte längst ihre strategische Bedeutung verloren und so ereilte die einst beliebte Strecke dasselbe Schicksal wie viele regionale Bahnverbindungen. Mit dem Inkrafttreten des neuen Fahrplanes kam 1995 das Aus für den Personennahverkehr. Der Güterverkehr rollte noch bis 1998 bis Ehrenhain. Danach erfolgte die Stilllegung der Bahnlinie und 2009 schließlich deren Entwidmung, verbunden mit dem Rückbau der Gleisanlagen.
Die Idee für einen Wander- und Radweg
Zu dieser Zeit entstand die Idee eines Wander- und Radweges auf der Trasse der AL-Linie unter Einbeziehung der bestehenden Viadukte. Im Jahr 2013 gründete sich deshalb der Viaduktradweg e. V. Er unterzeichnete im Jahr 2016 einen Mietvertrag mit der DB über insgesamt fünf Brückenbauwerke.
Den Bahndamm (ohne Viadukte) verkaufte die DB AG von Kotteritz bis zur thüringisch-sächsischen Landesgrenze bei Niedersteinbach (knapp 15 km) vollständig an die NABU-Stiftung. Diese beauftragte die Naturforschende Gesellschaft Altenburg e. V. (NfGA) mit dem Umbau des Bahndammes zum Wander- und Radweg. Im Jahr 2018 riefen diese Gesellschaft und der Viaduktradwegverein nach mehrjähriger Planungs- und Vorbereitungszeit zum ersten gemeinsamen Arbeitseinsatz auf. Die etwa 100 Teilnehmer bereiteten den ersten Abschnitt des zukünftigen Viaduktweges auf den Umbau vor. Die Organisatoren waren von der Anzahl der freiwilligen Helfer überwältigt, welche die Verbundenheit und Identifikation der Wierataler, Nobitzer und Altenburger Menschen mit den landschaftsprägenden historischen Brückenbauwerken aufzeigte.
Nach diesem gelungenen Auftakt wurde die Strecke bis zum Frühjahr 2020 durch die NfGA zwischen Kotteritz und dem Bahnhof Beiern-Langenleuba vollständig besandet und zur Nutzung für Wanderer und Radfahrer hergerichtet. Der Viaduktradweg e. V. konnte parallel dazu das Land Thüringen für das Projekt begeistern und erhielt vom Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft in Erfurt im Jahr 2021 einen ersten Fördermittelbescheid zum Umbau des Nirkendorfer Viadukts. Dafür stellte der Freistaat Thüringen 141 350 Euro zur Verfügung. Im Vorfeld hatte der Viaduktradwegverein den aufzubringenden Eigenanteil in Höhe von etwa 50 000 Euro eingeworben. Damit war die Finanzierung des knapp 200 000 Euro teuren Vorhabens gesichert.
Die Sanierung des Nirkendorfer Viaduktes
Die Liste der nun zwingend erforderlichen Arbeiten war lang. Als erstes galt es, die Entwässerung des Viaduktes instand zu setzen, um ein weiteres Eindringen von Feuchtigkeit in das Bauwerk zu verhindern und das Oberflächenwasser abzuführen. Dazu wurden sieben Entwässerungspunkte neu gebaut. Danach mussten die Fundamente für die Geländerstützen hergestellt werden. Dazu waren 370 Betonplomben in das Schotterbett zu gießen. Anschließend stand die eine Fläche von 720 m2 einnehmende Asphaltdecke auf dem Plan – ein logistisch anspruchsvoller Arbeitsgang: Einen Lkw rückwärtsfahrend mehrere 100 Meter über die 3,50 Meter breite Gasse an den Asphaltbelagfertiger zu steuern, erforderte eine perfekte Fahrzeugbeherrschung.
Als nächstes wurden zielgenau die Löcher für die neuen Geländerstützen gebohrt. Zum Schluss hieß es noch, das 1,30 m hohe und in Summe 460 m lange Geländer auf dem Nirkendorfer Viadukt zu montieren. Ende August erfolgte die Bauabnahme und die Übergabe der Brücke an den Verein.
Am 3. September 2022 war es dann endlich soweit: Punkt 14 Uhr wurde bei sommerlichen 24°C und Sonnenschein das Nirkendorfer Viadukt der Bevölkerung als Wander- und Radwegbrücke zur täglichen Nutzung übergeben. Und die Menschen strömten von nah und fern herbei, um dieses Ereignis mitzuerleben. Für die Vereinsmitglieder war das ein wahrer Gänsehautmoment.
Neue Pläne
Als nächstes steht der Abschnitt von Oberleupten nach Kotteritz auf dem Plan. Es gilt, eine Lösung für eine fehlende Feldwegbrücke zu finden (diese Blechträgerbrücke wurde beim Gleisrückbau 2009 entfernt) und das Flutviadukt kurz vor Kotteritz muss adäquat zur Nirkendorfer Brücke umgebaut werden. Dann könnten weitere 2,5 km Wegstrecke des Viaduktweges fertiggestellt werden.
Das Besondere an der zum Rad- bzw. Wanderweg umgebauten Strecke ist, dass man darauf bis auf ganz wenige Berührungspunkte abseits jeglichen Straßenverkehres unterwegs ist. Man bewegt sich auf einem bemerkenswerten grünen Band durch waldreiche Einschnitte, in denen man die Vielfalt der Flora und Fauna bewundern kann, vorbei an goldgelben Feldern sowie saftigen Wiesen und immer wieder mit dem Blick auf die sanfthügelige Landschaft mit ihren ursprünglichen Dörfern.
Mit einer Breite von 3,5 m steht auf dem Bahndamm ausreichend Platz für Wanderer und Radfahrer zur Verfügung. Das Streckenprofil ist geprägt von mäßigen Steigungen und Gefällen, wie man sie im Altenburger Land nur sehr selten vorfindet, dadurch läuft bzw. fährt es sich sehr angenehm.
Ferner sind Aus- und Einblicke in besondere Biotope möglich. Das Flächenband inmitten weiter Ackerflächen ist von alten Eichenbeständen, lichten Waldrändern, artenreichen Trockenhängen und Feuchtwiesen geprägt. Entlang der Strecke wärmen sich Zauneidechsen auf sonnigen Plätzen, die lichten Waldränder bieten Futter für die Haselmaus und in den Höhlen 100-jähriger Eichen zieht der Siebenschläfer seine Jungen auf. Vielen bedrohten Tier- und Pflanzenarten wie dem Dünen-Sandlaufkäfer, Carabuskäfer und der Mopsfledermaus bietet der alte Bahndamm einen Lebensraum.
Wie ein grüner Korridor liegt der Bahndamm zudem zwischen zwei bislang isolierten Vorkommen des Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläulings in den NABU-Schutzgebieten Pleiße- und Wierauaue. Der Bahndamm ist dadurch heute Teil des Biotopverbundes, der kleine Habitate des seltenen Schmetterlings miteinander verbindet.
Dafür und vor allem für das danach anstehende Mammutprojekt „Viadukt Wiesebach“ braucht der Viaduktverein finanzielle Unterstützung. Deshalb hat er Brückenaktien aufgelegt, die zu erwerben sind. Eine Kontaktaufnahme ist diesbezüglich über die Website www.viaduktweg.de möglich oder per E-Mail an dirk.hanke@viaduktradweg.de.
12.12.2022