Eisenbahn-Geschichte
Der „Luna-Express“ in Leipzig und seine Relikte
Im Januar 2020 erfolgte am Leipziger Auensee der Abriss einer Brücke, deren ursprünglichen Verwendungszweck naturgemäß nur ein kleiner Teil der heutigen Besucher des Naherholungsgebietes im Leipziger Norden selbst „erleben“ konnte. So mancher ist aber fälschlicherweise der Überzeugung, im Kindesalter über das Bauwerk mit der im Jahr 1951 in Betrieb genommenen Pioniereisenbahn gefahren zu sein. Auch der Sinn des aufwendigen Brückenbauwerkes erschloss sich so manchem Betrachter nicht, überspannte es doch in den letzten gut acht Jahrzehnten lediglich eine kleine Spitze des Auensees – auf voller Länge nur wenige Meter vom Ufer entfernt. Doch die Brücke war das letzte markante Zeugnis einer mehr als 20 Jahre bestehenden Eisenbahn: des „Luna-Expresses“. Anfang des 20. Jahrhunderts begann der Leipziger Baumeister Willybald Hofmann auf dem Areal des heutigen Sees mit dem Abbau von Kies, der hauptsächlich für den Bau des Leipziger Hauptbahnhofes verwendet und vermutlich ab Ende 1907/Anfang 1908 über eine regelspurige Anschlussbahn abgefahren wurde. Das eigens für diesen Zweck errichtete Anschlussgleis führte entlang der heutigen Neuen Luppe und mündete am km 4,89 in die Thüringer Eisenbahn (Leipzig – Großkorbetha [– Erfurt]). Dort befand sich die Blockstelle „Elsteraue“, deren Gebäude noch heute an der Bahnlinie Richtung Erfurt zwischen dem Haltepunkt Leipzig-Möckern und Leipzig-Leutzsch steht.
Da der Kiesabbau von Anfang an zeitlich begrenzt war, begann im Jahr 1908 die Wahren-Barnecker Grundstücksgesellschaft mbH mit den Planungen für die Nachnutzung der ca. 12 Hektar großen Kiesgrube als künstlichen See, den ein Vergnügungspark umschließen sollte. Im Jahr 1913 lief die ehemalige Grube voll Wasser. Bereits im Vorjahr begann um den so entstehenden See die Errichtung des „Luna-Parks“. Neben einer als Gebirgsszeneriebahn gestalteten großen Achterbahn, einem Hippodrom und dem heute als „Haus Auensee“ bekannten Restaurantkomplex gehörte auch eine 600-mm-Parkbahn zu den Hauptattraktionen des (zu neudeutsch) Freizeitparkes, der im Jahr 1913 eröffnete.
Am 13. Oktober 1913 wurde die behördliche Betriebsgenehmigung für den „Luna-Express“ erteilt. Zunächst pendelte die 600-mm-Bahn auf einem Dreiviertelkreis zwischen den damaligen Stationen Hauptrestaurant (zunächst noch südwestlich vom heutigen „Haus Auensee“!) und Strandbad an der östlichen Seite des Sees. Mit mehreren Haltestellen verband die Bahn damit die beiden äußeren Eingangstore des Vergnügungsparkes. Da für die Parkbahn zwei Schlepptenderlokomotiven beschafft wurden, ließ die Betreibergesellschaft an beiden Enden jeweils Drehscheiben und Umsetzgleise anlegen. In Verlängerung des Streckengleises von der Station Strandbad aus entstand zudem in Höhe der Bauernbrücke eine mit Holz verkleidete Halle zur Abstellung des Fahrzeugparkes, zu dem neben den beiden Dampfloks überdachte und offene Personenwagen gehörten.
Die 600-mm-Fahrzeuge
Die zwei 2’B-Lokomotiven waren aus von der Gesellschaft für Feldbahn-Industrie Smoschewer & Co. in Breslau gebauten Fahrwerken und von der Firma Zobel in Bromberg (Westpreußen) gefertigten Kesseln entstanden. Dafür sind die Zobel-Fabriknummern 633 und 634 von 1913 nachgewiesen. Strittig ist, ob eine oder beide nach ihrem Bau auf der von Mai bis Oktober 1913 veranstalteten Internationalen Baufach-Ausstellung in Leipzig oder aber eine oder beide auf der im gleichen Zeitraum veranstalteten Jahrhundertausstellung in Breslau zum Einsatz kamen. Für die Breslauer Ausstellung ist Kennern derartiger Bahnen allerdings lediglich eine 15-Zoll-Bahn (381 mm) bekannt – und in Leipzig fuhren zwei Loks …! Beide Lokomotiven und die Gleise stellte die Firma Smoschewer, die auch eine eigene Niederlassung in der sächsischen Messestadt besaß, der Betreibergesellschaft des Freizeitparkes am Auensee zunächst leihweise zur Verfügung – mindestens die Anlagen gingen 1914 in das Eigentum der Luna-Park GmbH über.
Die Betonbrücke
Mit der Inbetriebnahme der im Januar 2020 abgerissenen Betonbrücke endete 1914 der Rundkursbau für den „Luna-Express“. Die Brücke mit ihren 15 Pfeilern war notwendig, weil das damals an den Auensee angebundene Hundewasser über einen breiten Zufluss verfügte, der als zweiter See (dem Hundewasserteich) ausgebildet war.
Mit der Fertigstellung des Rundkurses entfielen 1914 die beiden Drehscheiben, ob die Umfahrgleise erhalten blieben, ist bisher nicht bekannt. Die Station Hauptrestaurant bekam etwas weiter nördlich neben dem heutigen Haus Auensee einen neuen Platz. Nachdem das Hundewasser und der Teich Mitte der 1930er Jahre verfüllt wurden, entstand der erwähnte Eindruck, dass die nun mehrheitlich nur noch in Ufernähe stehende Betonbrücke unnütz gewesen wäre.
Das Ende des „Luna-Expresses“
Aufgrund der Weltwirtschaftskrise geriet die Luna-Park GmbH in finanzielle Schwierigkeiten, schloss vermutlich 1930 und wurde im Januar 1932 aufgelöst. Ein Nachfolgeunternehmen – die Landhaussiedlung am Auensee GmbH – nahm 1933 den Bahnbetrieb wieder auf. Wie der Name des Unternehmens bereits erahnen lässt, war es jedoch das Ziel der Firma, das Gelände um den Auensee zu parzellieren. So wurden 1934 die meisten Vergnügungseinrichtungen des Parkes abgerissen. Bis wann die 600-mm-Bahn fuhr – die Spanne in Zeugenaussagen reicht bis kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, ist ebenso unbekannt, wie der Verbleib der Fahrzeuge.
Aktenkundig ist, dass die bekannte Leipziger Firma Erich Brangsch im November 1938 Gleise und Fahrzeuge aus dem Luna-Park zum Kauf anbot. Ob es sich dabei um alle Fahrzeuge oder nur um eine Teilmenge handelte, ist bereits wieder unklar. Durch die Verwechslung der Kessel- mit den Rahmen-Fabriknummern findet sich in Veröffentlichungen die Angabe, dass die 1921 von der Firma Smoschewer in Breslau mit den Fabriknummern 633 und 634 gebauten Lokomotiven einst im Luna-Park in Leipzig fuhren und eine davon 1956 noch in Niederösterreich auf dem Gelände der Chemischen Werke in Moosbierbaum zum Einsatz kam. Eine Verwendung dieser beiden Lokomotiven in Leipzig ist jedoch ausgeschlossen, da es sich dabei um C-Kuppler mit 800 mm Spurweite handelte …!
Neubeginn mit 381 mm Spurweite
Nach Gründung der DDR wurde im Jahr 1951 die heutige 381-mm-Parkeisenbahn in Betrieb genommen. Deren Gleislage ist nicht mit der des „Luna-Expresses“ identisch – auch wenn die Abweichungen in der Trassenführung teilweise gering sind. Die Betonbrücke wurde für den neuen Bahnbetrieb nicht benötigt, sie diente bis zu ihrer Sperrung wegen Baufälligkeit Anfang der 1980er Jahre nur noch dem Fußgängerverkehr. An den „Luna-Express“ erinnern heute einige Wegebeziehungen, die zu DDR-Zeiten als Jugendherberge genutzte frühere „Sternburgschenke“ an der Ostseite des Sees, vor der sich einst die Station Strandbad befand, sowie natürlich das „Haus Auensee“ mit einem der drei ehemaligen Eingangstore zum Luna-Park. Nicht zuletzt sind in der Nähe der Bauernbrücke im Unterholz noch Reste der Außenfassade des Lokschuppens zu finden.
Danksagung und Hinweise
- Vielen herzlichen Dank an Andreas Pucka und Jonas Kaminski für ihre Hinweise zu den 600-mm-Lokomotiven und zum Luna-Express!
- Vielen herzlichen Dank allen Bildgebern!
- Weitere Angaben zum „Luna-Express“ und seinen Fahrzeugen sind beim Autor des Textes willkommen.
- Literaturtipp: „Liliputbahnen in Parks und Gärten“ von Gerhard und Ursula Arndt, aus Reihe transpress-Verkehrsgeschichte, Stuttgart 1998
13.04.2020