Eisenbahn-Technik
Kommentiert: Innovation aus Tradition
183 Jahre Eisenbahn in Deutschland – das sind auch 183 Jahre kontinuierliche Innovationen im System Eisenbahn. Am Anfang stand der „Adler“ – was folgte waren viele hunderttausende Innovationen, die das System weiterentwickelten: In der Infrastruktur, bei den Fahrzeugen, aber auch im Betrieb sowie speziell der Leit- und Sicherungstechnik. Die indirekte Bremse, der Indusi-Magnet und die automatische Fahr- und Bremssteuerung waren einst ebenfalls Innovationen – und sind heute Technologien, die wie selbstverständlich akzeptiert und angewendet werden. Doch auch diese Innovationen wurden zum Zeitpunkt ihrer Entwicklung und Einführung skeptisch betrachtet und ihre Notwendigkeit in Frage gestellt.
Die technischen Möglichkeiten werden ständig weiterentwickelt, ein gutes Beispiel sind Mobiltelefone. Neuentwicklungen sind notwendig, um auf dem aktuellen „Stand der Technik“ zu bleiben. Daher stellen Innovationen keine Gefahr für das System Bahn dar – sondern fehlende Innovationen. Neuerungen sind notwendig: Nur durch Weiterentwicklung und die Nutzung der neuen technologischen Möglichkeiten im Bereich Automatisierung und Digitalisierung kann das System Bahn seine Position im Vergleich mit anderen Verkehrsträgern verteidigen. Ansonsten droht es, den technologischen Anschluss zu verlieren und zu veralten. Die Folgen davon können zum Beispiel bei den Eisenbahnen in Nordamerika beobachtet werden. Mehr als 100 Jahre war das System Bahn der Maßstab bei der Nutzung neuer Technologien und für Innovationsfähigkeit. In den vergangenen Jahrzehnten hat jedoch die Automobilindustrie diese Position übernommen. Dazu trug die Aufsplittung des integrierten Gesamtsystems Bahn in seine unselbständigen Bestandteile ohne „Zentrales Amt“ bei. Das ist unter anderem an den Schwierigkeiten bei der Umstellung auf neue Zugbeeinflussungssysteme zu erkennen.
Mit dem neuen Forschungscampus für Innovative Bahntechnologien, der in Annaberg-Buchholz geplant ist, soll die Innovationsfähigkeit des Systems Bahn gestärkt werden. Kern des Forschungscampus ist eine separierte Testumgebung als „Labor“ (international: Living Lab), in dem verschiedene Testfahrzeuge auf einer Teststrecke als „Erprobungsträger“ genutzt werden können. In diesem Labor können dann aktuelle Aktivitäten von Forschung, Entwicklung, Tests, Nachweisführung, Begutachtung, Bewertung, Zulassung für Sicherheitsnachweise und Betriebserprobung erfolgen. Ziel ist, dass zukünftig erst dann Systeme in den Einsatz gelangen, wenn sie ausreichend erprobt und entwickelt sind. Dies ist dringend geboten, wie das Debakel um die Betriebsaufnahme der als „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“ Nr. 8 entstandenen Neubaustrecke zwischen Erfurt und Ebensfeld im Dezember 2017 zeigt!
Als Teststrecke für den Forschungscampus ist die Linie Annaberg-Buchholz – Schwarzenberg (BSg) vorgesehen, als Campussitz das Empfangsgebäude von Annaberg-Buchholz unt Bf. Die Ansiedelung des Forschungscampus in Annaberg-Buchholz würde hohe Investitionen, wirtschaftliches Wachstum und zukunftsfähige Arbeitsplätze für unser Erzgebirge mit sich bringen. Doch genau darum konkurrieren natürlich auch andere Regionen europaweit. Ein Konkurrenzprojekt stellt das Open Rail Lab (www.openraillab.at) im österreichischen Burgenland an der Grenze zu Ungarn als osteuropäisches Mitgliedsland der EU dar.
Die Gelder für ein Living Lab in Deutschland sind bereitgestellt, unter anderem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die EU über das europäische Forschungsförderungsprogramm für das System Bahn „Shift-2-Rail“. Doch noch ist nicht entschieden, ob das Living Lab im Erzgebirge angesiedelt wird.
Um für den möglichen Standort im Erzgebirge zu werben, fand am 12. April eine große Veranstaltung mit mehr als 300 Teilnehmern in Annaberg-Buchholz statt. Mit dabei waren neben zahlreichen Vertretern aus der regionalen Wirtschaft, internationalen Bahnindustrie, Universitäten und Forschungsinstitute auch der stellvertretende sächsische Ministerpräsident und Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Martin Dulig. Während der Veranstaltung unterschrieben die Vertreter der Technischen Universität Chemnitz und der Stadt Annaberg-Buchholz als Träger des Vorhabens eine Absichtserklärung.
Die PRESS unterstützt das Vorhaben und fuhr – im Auftrag der Deutschen Bahn – am 12. April einen Sonderzug von Leipzig nach Annaberg-Buchholz.
12.06.2018