Erzählung
Eine Kurzgeschichte, die das Leben schrieb.
Freitag, der Dreizehnte.
Freitag. Freitag, der Dreizehnte – aber es hätte auch ein ganz beliebiger anderer Tag sein können. Wir sind im Harz, dem zentralen deutschen Mittelgebirge, das damals, als sich unsere Geschichte zugetragen hat, noch in Randlage zweier Staaten lag. Quer durch das Gebirge zog sich eine Grenze – fast parallel dazu ein Eisenbahnstrang. Logisch, daß man diese Bahn Harzquerbahn nannte, was aber nichts mit der Grenze zu tun hatte. Schnee war gefallen in diesen Wintertagen im Jahre 1981. Nicht zu viel, aber ausreichend, daß die Landschaft in ein dichtes weißes Kleid gehüllt wurde. Dem Schneefall der letzten Tage war nun die kalte Luft aus dem hohen Norden gefolgt. Die Winterferien lockten Gäste aus der ganzen Republik in den Harz und in die Orte drumherum. Für die Einheimischen hieß das, wieder weniger Platz auf den Straßen und in den Zügen zu finden. Die Läden wurden wieder einmal voller, ohne daß sich das Angebot erweitert hätte. Auf winterliche Bedingungen waren die Trabis, Wartburgs oder Ladas aus dem Flachland natürlich selten eingestellt, der Winterdienst wußte nicht mehr, wohin mit dem Schnee. Ein zeitloses Ereignis in diesem Februar, es hätte wohl auch in jedem anderen Jahr der vorherigen oder der folgenden Dekade so sein können. Doch dreizehnten Monatstagen als Freitag eilt gemeinhin ein besonderer Ruf voraus. Nun waren die Einwohner des östlich der Grenze gelegenen Landes sicherlich nicht überaus abergläubig, sonst wären sie vielleicht gar nicht aus dem Haus gegangen. Ein Freitag war ein ganz normaler Arbeitstag. Ja, na gut, in den Winterferien, aber der Luxus von Ferien war ja auf die Schüler des Landes beschränkt. Also alles ganz normal.
Und so hat Werner, der Leiter der Einsatzstelle Nordhausen der Deutschen Reichsbahn, natürlich auch keine Veranlassung, Ferien zu machen oder wegen des Dreizehnten den Fahrbetrieb einzustellen. Ganz passabel planmäßig, stellt er fest, läuft der heutige Güterverkehr über den Harz, für den Personenverkehr sind die Kollegen aus dem Betriebswerk Wernigerode direkt zuständig. Denn schließlich steht der Betriebsablauf ja auch schon Monate fest, ein Fahrplanwechsel auch nicht auf dem Programm und für zusätzliche Leistungen für Wintersportler im Gebirge gab es sowieso keine Veranlassung. Am Vormittag kamen, wie immer, die Wernigeroder Kollegen über den Berg, die Nordhäuser Maschinen waren in die andere Richtung aufgebrochen. Zur Mittagszeit herrscht nun zwar keine Ruhe vor dem Lokschuppen, aber viel los ist trotzdem nicht. Momentan steht die ölhauptgefeuerte Wernigeroder Lok 99 0241 am Wasser, die Kollegen Reiner und Norbert füllen an ihrem Dampfer die Vorräte im Wasserkasten auf, fahren dann mal noch den Pendler nach Ilfeld und zurück, bevor sie wieder über das Gebirge rollen. Hoffentlich wird’s heut’ Nacht nicht noch kälter, daß die Wasserleitungen nicht wieder einfrieren. Die haben sie gerade erst wieder gangbar bekommen.
Schulferien sind eigentlich die einzige Zeit, mal intensiver Sport zu machen – sonst ist man durch den Unterricht ja ständig daran gehindert. Na ja, wenn man, wie Thommy, auf einer speziell der Sportförderung dienenden Kinder- und Jugendsportschule (KJS) das kleine und große Einmaleins und viele andere wichtige Dinge fürs Leben beigebracht bekommt, kann man sich über fehlende sportliche Betätigung weniger beklagen. Aber im Prinzip bleibt es dabei, in den Ferien kann man ja mal sportliche Betätigung vorsehen. Eine KJS macht aus einem Ferienlager dann kurzerhand ein Trainingslager. Thommy reiste dafür mit seinen Kameraden der Klasse 10 am Anfang der Woche nach Ilfeld. Jeden Tag stand bisher wintersportliche Betätigung auf dem Programm. Der heutige Nachmittag wird aber mal wieder frei sein, doch vorher ist in den üblicherweise nur in den Sommermonaten genutzten Ferienlagerbaracken noch das Mittagessen einzunehmen. Dann ist Freizeit angesagt.
In Urlaubsgebieten wird Einheimischen von den Feriengästen ja üblicherweise mit Neid begegnet. Schließlich müssen die Urlauber ja erst dort hin reisen, wo die Eingeborenen bei jeder Gelegenheit die Landschaft genießen können. Ob solche Überlegungen für die Feriengestaltung eine Rolle spielten, um die Ferienkindern vor zu viel Zeit zu eigenem Müßiggang in den Zielgebieten für Urlauber abzuhalten, wird für Schüler für immer nur ein latenter Verdacht bleiben. Organisierte Feriengestaltung durch die Schulen gehörte jedenfalls im Land östlich der Grenze durch den Harz bis in die Klassenstufe 8 zum alljährlichen Ritual. Drei Wochen Winterferien landauf landab waren schließlich ganz schön lang. Auch den Schülern der Ilfelder Polytechnischen Oberschule blieb es an diesem Tag nicht erspart, am vorbestimmten Ferienprogramm teilzunehmen. Dabei war das Kulturereignis, das an diesem Freitagvormittag geboten wurde, gar nicht so schlecht. Jedenfalls für theaterinteressierte Menschen. Aber zu denen gehörte Thomas damals nicht. Der Großteil von Thomas’ Mitschülern wird ebenfalls wenig Begeisterung für die moderne Adaption von „Rotkäppchen und der böse Wolf“ empfunden haben, die das Stadttheater Nordhausen zu vormittäglicher Zeit auf die Bretter der hiesigen Bühne brachte. So war es nicht verwunderlich, daß sich das Haus nach dem Schlußvorhang schnell leerte. Während die Jungs und Mädchen aus Nordhausen schon richtig Freizeit hatten, ging es für die Ilfelder noch organisiert zum Bahnhof und mit der Harzquerbahn wieder nach Hause. Während seinen Klassenkameraden dies aber nur wie ein Fortsetzungsakt aus dem Theater vorkommt – uninteressant, uralt und verstaubt – fängt für den elfjährigen Thomas hier der interessantere Teil des Tagesprogrammes erst an. Seit er denken kann, hat er die Schmalspurbahn direkt vor der Nase, da seine Familie in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof in Ilfeld wohnt. Viel Freizeit verbringt er inzwischen an den Gleisen, beobachtet die Züge und kennt jede Lok, die diesseits des Harzes eingesetzt wird.
Dieter, Vorsteher des Bahnhofs Ilfeld, nutzt seine Mittagspause heute, wie eigentlich fast an jedem Tag, für einen kurzen Abstecher nach Hause. Da er die Dienstwohnung direkt im Ilfelder Lokschuppen bewohnt, hat er es nicht weit. Die Kollegen im Bahnhofsgebäude von der Fahrkartenausgabe und der Güterabfertigung haben wie üblich ihr Mittagessen mitgebracht, und bis der nächste Zug aus Nordhausen kommt, ist ja noch etwas Zeit. Bei den Temperaturen, die selbst am Tag nicht über Minus 15 Grad Celsius gestiegen sind, ist es vielleicht auch ganz gut, im Ofen in der Wohnung noch mal nachzulegen. Den kurzen Weg entlang des Bahnsteiges zu dem am nördlichen Ende der Anlage gelegenen Gebäude nutzt der dienstälteste Mitarbeiter des Bahnhofs wie üblich für einen kurzen Blick übers Gelände, denn in den letzten Jahren hat das Interesse vieler Neugieriger an der im sonst nicht mehr genutzten Lokschuppen abgestellten „Straßenbahnlok“ des Verkehrsmuseums Dresden deutlich zugenommen. Viele Eisenbahnfreunde fragen, ob sie mal einen Blick auf die alte Dampflok werfen könnten, aber manche versuchen eben auch, auf eigene Faust in das Gebäude zu kommen. Doch heute wäre jede Spur im Schnee natürlich schnell zu sehen. Die Kinder aus der Umgebung kennt er ja alle, die stromern regelmäßig hier rum – aber manchmal kommen eben auch Souvenirjäger.
Am Bahnsteig in Nordhausen Nord steht der Zug der Harzquerbahn nach Ilfeld bereit. Reiner, der Lokführer, und Norbert, heute sein Heizer auf der Dampflok, haben die Vorbereitungen für die nächste Fahrt fast abgeschlossen. Noch einmal ein prüfender Blick rund um die Lok, dann schnell wieder ins warme Führerhaus. Trotz der Tatsache, daß es auf dem Führerstand der Dampfer seit ihrem Umbau auf Ölhauptfeuerung in den siebziger Jahren im Winter nicht mehr ganz so brütend heiß wird, ist es bei den heute herrschenden Außentemperaturen dort schon deutlich angenehmer. Jetzt heißt es warten, bis der Zugführer das Abfahrtssignal gibt. Die Winterferien sorgen natürlich dafür, daß die Züge schon etwas mehr gefüllt sind, wobei dieser Zug bis Ilfeld und zurück eher Vorortverkehr für die Kreisstadt Nordhausen ist und vorrangig von den Bewohnern von Niedersachswerfen und Ilfeld sowie durch die Besucher des dortigen Kreiskrankenhauses genutzt wird, weshalb er von den Zugpersonalen gern scherzhaft auch „Erbschleicherzug“ genannt wird. Im Sommer, wenn die längere Pause in Ilfeld entfällt und die Fahrt bis Eisfelder Talmühle geht, fahren auch viele Urlauber mit. Heute scheint wieder einmal ein Ferienprogramm von den Schulen entlang der Strecke in Nordhausen besucht worden sein, zwei oder drei Wagen sind von lärmenden Kindern bevölkert. Durch den dichten Wasserdampf, den die undichten Heizungskupplungen zwischen den Wagen abgeben, bleibt der Blick von der Lok entlang des Zuges auf halber Strecke hängen. In Schnee und Dampf getaucht, erscheint die Welt ringsum nach wenigen Metern zu Ende zu sein. Auf dem Führerstand ist jetzt alles getan, den Fahrplan, der an der Führerhauswand hängt, braucht Reiner eigentlich nicht. Schließlich fährt er diesen Zug häufiger, aber Vorschrift ist halt Vorschrift. Über den Betriebsfunk steht der Lokführer auch in direktem Kontakt mit der Lokleitung. Der Kessel steht gut unter Dampf, der Manometerzeiger hält kurz vor der roten Markierung für den zulässigen Druck, nachdem Norbert die Heizölzufuhr geöffnet hatte. Jetzt könnte es eigentlich losgehen. Da ertönt auch schon der Abfahrtspfiff vom Zugführer, ein kurzer Ruck an der Dampfpfeife der Lok als Antwort und los geht’s.
Endlich, Mittagessen erledigt. Schnell noch im Ausgangsbuch eintragen, denn irgendwie wollen die Betreuer des Trainingslagers ja wissen, wo sie im Zweifelsfall ihre Schützlinge suchen dürfen. Jetzt ist Freizeit für Thommy. Bewaffnet mit seiner Spiegelreflexkamera geht es nun beinah im Laufschritt in Richtung Bahnhof Ilfeld, wie er es in den letzten Tagen schon zwei Mal gemacht hat. Man muß die Gelegenheit schließlich nutzen, wenn man schon die Ferien so nah bei einer Dampfeisenbahn verbringt. Und das Hobby erfordert schließlich eine klare Planung, den Fahrplan möchte man dafür schon genau kennen, um rechtzeitig an der richtigen Stelle zu sein.
Kurz vor zwei Uhr am Nachmittag, Ankunft des Zuges 14442 nach rund zehn Kilometern Fahrt in Ilfeld. Während die letzten Kinder von ihrem Ferienausflug in Nordhausen, einige Einheimische sowie ein paar wenige Urlauber, erkennbar an ihrer endlosen Ruhe beim Aussteigen und anschließendem Bahnsteigschlendern, den hier endenden Zug verlassen haben, ist das Lokpersonal mit dem Abkuppeln der Lok vom ersten Wagen beschäftigt. Die Kinder wurden, nicht ohne nochmalige Ermahnung, von ihrem Begleiter verabschiedet, ab hier findet jeder selbst nach Hause. Bei dieser Kälte ist auch nicht zu erwarten, daß sie noch längere Umwege machen. Thomas, der nur wenige Meter vom Bahnhof entfernt wohnt, nutzt wie immer noch die Gelegenheit, das geschäftige Treiben nach Ankunft des Zuges zu beobachten. Anfänglich nur über den Gartenzaun des elterlichen Grundstückes, später in regelmäßigen Streifzügen über das Gelände, wächst der Junge direkt an der Bahn auf. Die Personale auf dem Bahnhof und auch viele Lokführer kennen ihn, so daß er gelegentlich auch mal bis Eisfelder Talmühle und zurück auf dem Führerstand mitfahren darf. Das wäre sicher auch heute interessanter gewesen, als mit den anderen Klassenkameraden im Wagen mitzufahren. Thomas kennt inzwischen jede Lok, die 99 0241-2, die heute vor dem Zug hängt, kommt hier öfter vorbei. Aber die Kälte zeigt heute Wirkung, nur noch kurz das Umsetzen der Lok an das andere Zugende beobachten und dann geht’s nach Hause. Doch was ist das?!
Ein kurzer Ruck. Das „Plopp“ und der folgende dumpfe Aufschlag ist nur in wenigen Metern Entfernung noch wahrnehmbar, der Schnee dämpft den Schall. Thomas, der direkt neben der Lok steht, scheint der einzige Mensch zu sein, der es bemerkt hat. Die Lok fährt unterdessen über die Weiche weiter und setzt an das andere Ende des Zuges. Hier steht Thommy bereit, die Kamera im Anschlag. Zu lange hatte das Mittagessen gedauert, so daß er den Zug nicht mehr vor der Einfahrt in den Bahnhof Ilfeld erwischen konnte. Die Lok passiert seinen Standort und setzt über die Einfahrweiche um. Das muß auf den Film. Jetzt steht die Lok am Bahnsteig. Aber irgendwie sieht sie anders aus, als gewohnt. Fehlt da nicht was? Ein in Uniform gekleideter Eisenbahner, der mit dem gleich auf dem Nachbargleis ankommenden Zug aus Wernigerode zum Dienst nach Nordhausen fahren will, tritt, soweit es die Schneehaufen auf dem Bahnsteig zulassen, an die Lok heran. Lokführer Reiner ist gerade beim Bedienen der Pumpen, als der Mann in darauf hinweist, daß er wohl ein wichtiges Teil verloren habe. Unwirsch will Reiner den Kollegen abweisen, doch letztlich schaut er doch mal nach. Man kann ja nie wissen.
Keine halbe Stunde später: Streß in der Betriebsleitung in Wernigerode. Der diensthabende Lokdienstleiter für die Harzquerbahn rauft sich die Haare, nachdem er gerade vom Lokführer aus Ilfeld per Funk die Schadensmeldung bekommen hat. Irgendwas mußte ja passieren, an einem Freitag, den Dreizehnten. Wie haben die Schwarzen das nur wieder hinbekommen, eine ganze Kupplung zu verlieren? Jetzt muß im Betriebswerk in Nordhausen auch noch die Drehscheibe von Schnee und Eis befreit werden, denn ohne Kupplung an der Frontseite der Lok kann diese den Zug 14408 nicht nach Wernigerode übers Gebirge ziehen. Eine Ersatzlok ist auch nicht verfügbar, also muß die Lok außerplanmäßig gedreht werden. Kollege Werner wird ganz schön wettern, kurz vor seinem Feierabend. Und die Kollegen in der Werkstatt in Westerntor haben bestimmt auch viel Freude, wenn die in Kürze die Vormeldung vorliegen haben. Die Kupplung ist nur mit einigem Aufwand wieder zu reparieren – da wird also wieder etwas anderes liegenbleiben müssen, damit die ´41 schnell wieder auf die Bahn kommt. Reiner wird sich warm anziehen müssen, wenn er das Vorkommnis seinem Gruppenleiter erklären soll. Da hat er wohl beim Rangieren getrieft.
Wenig später ist die Lok ohne Kupplung gerade aus Ilfeld in Richtung Nordhausen abgefahren. Dieter kann sich, in der Erinnerung an das Geschehen der letzten Stunde, ein breites Grinsen nicht verkneifen. Der Kollege Lokdienstleiter in Wernigerode, den er gerade am Sprechgerät hatte, fand das jedoch gerade gar nicht lustig. Jetzt muß er sich überlegen, was er von diesem Vorfall in seinem Dienstbuch verewigt. Es ist ja eigentlich nichts Dramatisches passiert, zum Glück hat der Lokführer das Malheur noch bemerkt, bevor er abgefahren ist. Die Kollegen vom Bahnhof mußten alle mit anfassen, um die mehr als zwei Zentner schwere Kuppelstange mit der Balancierkupplung aus dem Gleis und auf die Bühne des letzten Wagens zu hieven. Spätestens jetzt hätten sie es alle verstanden, warum man dieses Teil auch „schwere Harzkupplung“ nennt. Der Kollege Heizer hatte wohl vergessen, die auf seiner Seite befindliche Kuppelkette beim Abkuppeln auszuhängen. Die kalten Temperaturen und ein vielleicht schon vorhandener Riß haben dann dazu beigetragen, daß die Stange einfach abgebrochen ist. Na gut, kommt als Eintrag in das „Meldebuch für besondere Vorkommnisse“ eben nur die Notiz „Kupplung an 99 241 beim Rangieren gebrochen, keine Beeinträchtigungen im Betriebsablauf“. Das reicht, bald ist Feierabend.
Thomas fand das Gewusel auf dem Bahnsteig, nachdem die Lok ihre Kupplung verloren hatte, auch dann noch beeindruckend, als er bereits zu Hause am warmen Ofen saß. So aufgeregt hat der die Leute vom Bahnhof ja noch nie erlebt. Und eine Lok ohne Kupplung sieht auch irgendwie anders aus – aber klar, ist ja auch ein wichtiges Teil an der Lok. Thommy steht immer noch im Schnee, den ausfahrenden Zug mit der Lok ohne Kupplung hat er noch fotografisch mitgenommen. Jetzt muß eine neue Stelle für ein Foto gefunden werden, wenn die Lok mit dem Zug wieder hier vorbeikommt. Mal sehen, ob sie eine andere Lok einsetzen oder wie sie es anstellen, daß die Lok den Zug dennoch ziehen kann. Da werden die Kumpel staunen, wenn er das erzählt. Vielleicht kommt ja in den nächsten Tagen noch jemand auf Fotopirsch entlang der Eisenbahn mit. Reiners und Norberts Fahrt nach Nordhausen und dann zurück nach Wernigerode verläuft ungewöhnlich wortkarg. Nicht, daß der Verlust der Kupplung sie sonderlich schmerzen würde – den beißenden Spott ihrer Kollegen können sie schon hinter ihren Rücken spüren.
Das Ereignis vom Freitag, den 13. Februar 1981, hatte keine ernsthaften Folgen. Trotz zusätzlichem Drehen auf der Scheibe in Nordhausen kam Zug 14408 pünktlich nach Wernigerode zur Abfahrt und ebenso dort auch planmäßig an. Reiner konnte kein Verschulden nachgewiesen werden, da es nicht zu seiner Aufgabe gehörte, sich vom ordnungsgemäßen Abhängen der Kuppelkette durch den Heizer auch persönlich zu überzeugen. Die Werkstatt diagnostizierte einen Sprödbruch der Kuppelstange, der durch einen vorhandenen Haarriß ausgelöst wurde.
30 Jahre später stellen Reiner (61), Thomas Z. (41) und Thommy (Thomas F.) (47) in einem Forum im Internet fest, daß sie zur gleichen Zeit an der identischen Stelle aus sehr unterschiedlichen Betrachtungspunkten dasselbe Ereignis erlebten. Mit Thommys Foto können wir den Wahrheitsgehalt (wenigstens dieses Details) der Geschichte beweisen.
10.04.2011