Reisebericht
Die Eisenbahn im Egertal (Teil 1)
Im Dezember 2006 verabschiedete sich die Eisenbahn mit Schließung der Fahrdrahtlücke zwischen Karlsbad und Kaaden (Kadaň) vom Egertal, wie sie viele Eisenbahnfreunde in den Jahrzehnten zuvor – und vor allem nach dem Niederreißen des Eisernen Vorhanges – kennenlernen durften. Damit wurde auch die kuriose Situation beendet, daß alle durchlaufenden Reise- und Güterzüge auf der wichtigen nordböhmischen Magistrale Eger – Aussig (Ústí nad Labem) zweimal umgespannt werden mußten – was die Betriebsführung umständlich und teuer machte. Zwar hatte der Fahrdraht von Westen her bereits frühzeitig 1968 Falkenau (Sokolov) erreicht, um das wichtige Kohlerevier ans elektrische Netz anzuschließen, doch die Fortführung in Richtung Karlsbad konnte erst 1983 vollendet werden. Auf diesem Abschnitt kam Wechselstrom (25 kV, 50 Hz) zur Anwendung, wie er im südlichen Landesteil verbreitet ist. Aus Richtung Osten drang der Draht in Teilschritten sogar noch früher (1963) von Aussig bis Triebschitz (Třebušice) vor, und damit ins Kohlerevier um Bilin (Bílina), Dux (Duchcov) und Brüx (Most). Auch hier dauerte es über ein Vierteljahrhundert, ehe die „Strippe“ endlich in Richtung Komotau (Chomutov) und Kaaden (Kadaň) weitergezogen worden war – der elektrische Betrieb wurde hier mitten im gesellschaftlichen Umbruch der „Samtenen Revolution“ am 5. Dezember 1989 eröffnet.
Allerdings gehört dieser Abschnitt zum böhmischen Gleichstromsystem (3 kV) – wer nicht weiß, in welchem er sich befindet, braucht nur auf die Nummern der E-Loks schauen: „1“ steht für Gleich-, „2“ für Wechselstrom und „3“ schließlich sind Zweisystemloks. Und wie funktioniert das jetzt mit beiden Stromarten hier auf der „Podkrušnohorska magistrála“, der Magistrale am Erzgebirgsfuß, wie man auf tschechisch die heute vereinigten Stammbahnen Eger – Komotau der ehrwürdigen Buschtěhrader Eisenbahn bzw. der in Komotau anschließenden Aussig-Teplitzer Eisenbahn nennt? Nun, zwischen den Stationen Kaaden und Wernsdorf (Venéřov) befindet sich auf freier Strecke – am km 138,88 – eine entsprechende Systemtrennstelle, E-Loks mit einer „3“ als Baureihenkennung können also ohne Probleme durchfahren. Schwierigkeiten gibt es nur insofern, daß die ČD nicht über genügend Zweisystemloks verfügen, denn auch an anderen Stellen im Streckennetz wird fleißig elektrifiziert. Deshalb werden im Bf Klösterle an der Eger (Klášterec nad Ohří) alle Personenzugleistungen gebrochen – man fährt mit Diesel (meist einer der zweiachsigen 810er Triebwagen) von Kaaden bis hierher, und der Reisende hat in einen elektrisch bespannten Reisezug für die Weiterfahrt gen Eger umzusteigen. Diese bestehen in der Regel aus einer E-Lok der Reihe 242 und drei oder vier herkömmlichen Personenwagen.
Doch die knapp 50 km lange Lücke ohne Strom bescherte der Egertalstrecke schließlich höchste Aufmerksamkeit unter Eisenbahnfreunden, besonders nachdem diese zum letzten Refugium für die „Sergej“ geworden waren – der tschechischen Version unserer Reichsbahn-„Wummen“; in Deutschland je nach zeitgeschichtlicher Epoche als V 200, 120, 220 bezeichnet, bei unseren Nachbarn anfänglich als T679.1 oder ab 1988 computergerecht als Reihe 781, denn Nullen und Einsen verkraften kein „T“.
Halt, das ist nicht ganz korrekt, die ČSD besaßen ja ganz im Osten der Slowakei eine Strecke hinüber in die Ukraine, der Karpato-Ukraine, die aus der Erbmasse der k. u. k.-Monarchie an die 1. Republik gekommen und schon 1943 von Präsident Beneš dem weisen Vater aller Werktätigen im Kreml als Geschenk zum Dank für die Befreiung versprochen worden war. Und da die dortigen Strecken anschließend auf die sowjetische Breitspur umgenagelt wurden, kauften die ČSD von der Lokomotivfabrik Lugansk eben außer den 574 normalspurigen „Sergej“ noch 27 davon in der Breitspurversion mit 1520 mm. Diese nannte man dann zur Unterscheidung T679.5 bzw. 781.8.
Fairerweise muß man zugeben, daß die Dieselloks zu Zeiten der Dampftraktion nur wenige vom Hocker gerissen haben, mancher betätigte zwar tapfer den Auslöser, wenn gerade eine des Weges kam, aber die meisten konnten einer Mitteilung, man würde zu „Wumme“ oder „U-Boot“ aufbrechen, nur mildes Lächeln entgegenbringen – im günstigsten Falle. Da jedoch Eisenbahnfreunde eine dem Historischen nachhängende Spezies sind, kriegte mancher noch rechtzeitig vor Ultimo die Kurve; „… auch heute bei dem schönen Wetter im Elstertal gewesen?“ Und heute meldet sich manch einer zur Dampfveranstaltung mit der ausdrücklichen Bitte an, nur für die eingesetzten Dieselloks löhnen zu wollen …
Bei unseren Nachbarn war das Ganze nicht unähnlich; als die „Sergej“ 1997 von den slowakischen Gleisen komplett und den böhmisch-mährisch-schlesischen nahezu verschwunden waren, da traf man das Fotografenvölkchen schließlich an all den wunderschönen Fotostellen im malerischen Egerdurchbruchstal zwischen Wickwitz (Vojkovice) und Klösterle. Oder auf den Steigungen von Wickwitz hinauf über Schlackenwerth (Ostrov nad Ohří) bis nach Grasengrün (Hájek), wo die Trasse auf 14 km immerhin rund 120 m Höhendifferenz bezwingt. Die Musik der Fahrmotoren vor den vollen Bunkerzügen mit Kohle schwoll so manches Mal zu einem Diskolärm an.
Die „Sergej“ wurden abgelöst von einer weiteren markanten Baureihe, die ja eigentlich als die typischste tschechische Konstruktion gilt: den Brillen. Unschwer läßt sich deren Spitzname von der eigentümlichen Form der Führerstandsgestaltung ableiten, von denen Hauslieferant ČKD 1968 bis 1977 insgesamt 408 Maschinen der Reihe T478.3/753 ablieferte; weitere gingen an Werk- und Industriebahnen. Diese robuste dieselelektrische Type (1325 kW, Vmax 100 km/h) sorgte mit Beginn der Serienlieferung ab 1970 für einen raschen Traktionswandel im Reiseverkehr und blieb bis in die Gegenwart unentbehrlich, so daß man sich nach 1990 zur Modernisierung entschloß. Die 165 umgebauten Maschinen (statt Heizkessel nun mit elektrischer Zugheizung) wurden dabei zur neuen ČSD-Reihe 750. Doch schon 1978-80 hatte ČKD in Weiterentwicklung eine Version mit stärkeren Motoren und von Anfang an elektrischer Zugheizanlage geliefert. Diese 86 Einheiten und zwei Baumusterloks gehören zur Reihe T478.4/754. Die nicht rekonstruierten 753er werden derzeit vermehrt ausgemustert. Da aber momentan in naher Zukunft keine grundlegende Diesellok-Neubeschaffung erkennbar ist, sollen nun doch weitere Umbauten auf Basis der 2005 vorgestellten Prototypen 755 001/2 erfolgen. (wird fortgesetzt)
Krondorf ist übrigens ein weiterer Förderort von Mineralwasser (siehe auch Beitrag „Mit der Lokalbahn ins Duppauer Gebirge“ PK 99/100).
06.04.2008