Regelspur- und Museums-Nachrichten
Unterwewgs mit dem Dampftriebwagen der Bauart Komarek
Am 22. Oktober 2019 hatte eine Reisegruppe von Michael Schneeberger die Möglichkeit, mit dem Dampftriebwagen M124.001 der České dráhy (ČD) zum Erzgebirgskamm hinaufzufahren. Die Verbindung von Chomutov (Komotau) nach Vejprty (Weipert) wird seit mehreren Jahren nur noch im Saisonverkehr an Wochenenden betrieben, so dass kein anderer Zug die Fahrt störte. Auf der steigungsreichen Strecke, die sich in zahlreichen Bögen am steilen Erzgebirgsaufstieg in die Höhe windet, musste das Fahrzeug nur einmal unterwegs Dampf kochen. Allerdings dauerte das Wassernehmen in Krimov (Krima) mit einem ¾-Zoll-Schlauch gut eine Stunde. Ein straffer Wind hatte über Nacht den Nebel aus dem böhmischen Becken hinweggefegt, so dass bestes Fotowetter herrschte. Diese Sonderfahrt sei Anlass, auf die Geschichte dieser Fahrzeugbauart zu blicken.
Baugeschichte
Dampftriebwagen galten an der Wende zum 20. Jahrhundert als die Innovation im Lokalbahnverkehr. Waren zuvor stets Lokomotiven und Wagen für die meist kurzen Lokalbahnzüge erforderlich, so konnten die Dampftriebwagen sowohl die Personenbeförderung als auch den Antrieb vereinen und damit Masse, aber auch Personal sparen. Sie waren damit die Vorläufer der Benzol- und Dieseltriebwagen. Die Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen (K.W.St.E.) beschafften für ihre Lokalbahnen bereits ab 1893 Dampftriebwagen mit Serpollet-Kessel bei der Maschinenfabrik Esslingen. Bis 1909 wurden 17 Exemplare in Betrieb genommen. Diese Kesselbauart bewährte sich jedoch nicht. Deshalb erhielten später gebaute Fahrzeuge einen Stehkessel der Bauart Kittel. In der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn wandten sich verschiedene Waggon- und Maschinenbauer ebenfalls dem Bau von Dampftriebwagen zu. Zahlreiche auf der Grundlage des Lokalbahngesetzes errichtete Bahnen benötigten leichte und kostengünstige Fahrzeuge für ihren Betrieb.
Nach Besichtigungen von Dampftriebwagen mit Serpollet-Kesselanlagen im Ausland erteilte das Provinzkomitee am 24. November 1902 der Waggonfabrik Ringhoffer in Prag den Auftrag zum Bau von zwei Dampftriebwagen. Als Kesselbauer fungierte die Maschinenbau-Anstalt und Kesselschmiede F. X. Komarek im Wiener Stadtteil Favoriten. Nachdem die Konstruktion am 30. Mai 1903 genehmigt war, begann der Bau der Fahrzeuge. In der Werksliste erhielt der zweite Dampftriebwagen die Fabriknummer 65168. Der mit der Fabriknummer 325 in Wien gebaute Dampfkessel bestand am 28. November 1903 seine Druckprüfung und stand danach zum Einbau bereit. Im Dezember 1903 begannen die Probefahrten im Raum Prag. Als zukünftiges Einsatzgebiet war die am 29. August 1903 von der Böhmischen Nordbahn-Gesellschaft (B.N.B.) eröffnete Strecke von Böhmisch Leipa (Česka Lipa) nach Steinschönau (Kamenicky Šenov) angedacht.
Am 19. Januar 1904 fand die erste Probefahrt mit dem als „Dampfwagen Nr. 2“ der B.N.B. beschrifteten Fahrzeug von Prag-Smichov nach Liten statt, der erstgebaute Dampftriebwagen absolvierte seine letzte Probefahrt am 30. Januar 1904. Am 5. Februar 1904 trafen beide Fahrzeuge in Böhmisch Leipa ein. Die ersten Probefahrten auf der Strecke nach Steinschönau mit Steigungen bis 35 ‰ endeten im Fiasko – sie mussten wegen Dampfmangel häufig abgebrochen werden. Eine bahnpolizeiliche Probefahrt mit einem Kohlenwagen mit 18 t Masse am Zughaken verlief nicht besser. Zwar erreichten die Triebwagen im Stadtgebiet von Böhmisch Leipa noch eine Geschwindigkeit von 35 km/h, doch im 35-‰-Abschnitt sank diese auf 9 km/h. Damit waren die Dampftriebwagen für die Lokalbahn nach Steinschönau ungeeignet. Deshalb prüfte die Staatsbahndirektion in Prag ab Juli 1904 die Umsetzung der beiden Fahrzeuge auf besser geeignete Strecken, außerdem wurde ein Umbau ihrer Kesselanlagen zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit heftig diskutiert. Für den von Ringhoffer mit der Fabriknummer 65168 gebauten „Dampfwagen Nr. 2“ wurde diese letztendlich im Juni 1905 in Auftrag gegeben. Als neues Einsatzgebiet war die Lokalbahn von Laun nach Libochowitz (Louny – Libochovice) angedacht, wo bereits ein Dampftriebwagen mit Serpollet-Kessel zufriedenstellend verkehrte. Daher fanden während des Umbaus auch die Verhandlungen zwischen der Stadt Laun und der Böhmischen Nordbahn-Gesellschaft zur Übernahme des Fahrzeuges statt.
Ende 1905 erfolgte der Umbau der Dampfkesselanlage auf einen neuen Dampfkessel der Bauart Allison. Dieser hatte mit der Fabriknummer 349 seine Druckprüfung bei der Firma Komarek bestanden. Der Umbau fand allerdings nicht im Werksgelände von Ringhoffer, sondern im Heizhaus Smichov statt. Am 10. Januar 1906 fand eine erste Probefahrt von Smichov nach Zadni Treban statt. Dabei wurden keine Mängel festgestellt. Daraufhin erfolgte nach einer Fahrt von Smichov nach Radotin am 6. Februar 1906 die bahnpolizeiliche Abnahme mit der neuen Fahrzeugnummer 1.001 durch die zwischen Laun und Libochowitz betriebsführenden k.u.k. Staatseisenbahnen. Ab 15. Februar 1906 war der umgebaute Dampftriebwagen für den Betrieb auf der Lokalbahn nach Libochowitz in Laun stationiert. Der „Dampfwagen Nr. 1“ wurde etwas später umgebaut und erhielt daher die Nummer 1.002.
Fahrzeugkonzept
Das Konzept für die beiden Dampftriebwagen beruht auf einem Lokalbahnpersonenwagen mit 11 175 mm Länge. Mit einem festen Radsatzstand von 5000 mm sind Gleisbögen bis 150 m befahrbar. Die ersten Dampferzeuger wurden als stehende, kombinierte Wellrohr-/Rohrkessel ausgeführt und am Wagenende angeordnet. Zusätzliche Rohre im oberen Bereich der Kessel dienten der Überhitzung des Dampfes. Trotz eines Kesseldruckes von 18 bar stellten die beiden ursprünglich gelieferten Dampferzeuger nur eine indizierte Leistung von 50 PS bereit und bewährten sich nicht, so dass die Kesselanlagen 1905/06 umgebaut wurden. Der zulässige Kesseldruck der neuen Dampferzeuger betrug 13 bar. Diese ebenfalls von der Firma Komarek in Wien gefertigten Kessel der Bauart Allison besitzen eine Rostfläche von 0,65 m² und eine Verdampfungsheizfläche von 25,6 m². Seit dem Umbau 1905/06, bei dem der (neue) Kessel an die Führerraumrückwand verlegt wurde, stehen 100 PS zur Verfügung. Der Dampf wird dem unter dem Kessel befindlichen Verbundtriebwerk mit außenliegender Joy-Steuerung zugeführt, dessen Hochdruckzylinder einen Durchmesser von 250 mm aufweist, während der Niederdruckzylinder 390 mm Durchmesser besitzt. Ein Kolbenhub von 400 mm und ein Treibraddurchmesser von 980 mm ermöglichen eine Geschwindigkeit von 50 km/h. Die Leermasse des Fahrzeuges liegt bei 21,3 t, an Vorräten können 400 kg Kohle sowie 1,4 m³ Wasser mitgeführt werde. Der einem typischen Lokalbahnwagen entsprechende Fahrgastraum verfügt über insgesamt 32 Sitzplätze der 2. und der 3. Wagenklasse. Bedient wird der Triebwagen vom vorderen Führerstand, wobei der Triebwagenführer gleichzeitig das Heizen übernehmen muss. Der hintere Führerstand verfügt über Bedieneinrichtungen für die Dampfpfeife und die Bremse, hat jedoch keinen Zugriff auf die Dampfzufuhr zu den Zylindern. Bei Rückwärtsfahrt wurde der rückwärtige Führerstand mit dem Schaffner besetzt, während der Lokführer am Kessel blieb.
Einsatzgeschichte
Nach dem 1906 abgeschlossenen Umbau gingen die beiden Dampftriebwagen mit neuen Nummern in Betrieb: der ehemalige Dampfwagen Nr. 2 als 1.001 auf der Lokalbahn Laun – Libochowitz (Louny – Libochovice) und der ehemalige Dampfwagen Nr. 1 als 1.002 auf der Lokalbahn Tschertschan – Moderschan (Čerčany – Modřany) mit der Zweigstrecke Wran – Dobris (Vrané – Dobříš) bei Prag. Beide Fahrzeuge gingen dazu von der Böhmischen Nordbahn-Gesellschaft (B.N.B.) in das Eigentum der Lokalbahnen über. Ab 1910 verkehrten beide Dampftriebwagen auf der Lokalbahn Gutenfeld – Opotschno (Dobruška – Opočno) in Ostböhmen. Im Zuge der Verstaatlichung der lokalen Eisenbahnlinien übernahmen die Tschechoslowakischen Staatseisenbahnen (ČSD) beide Fahrzeuge und reihten sie 1925 als M124.001 und M124.002 in ihren Bestand ein. Ersterer sollte im Jahr 1933 wegen Kesselschäden abgestellt werden, wurde jedoch 1936 in Česka Lipa (Böhmisch Leipa) nochmals instandgesetzt. Nach dem Verlust der tschechoslowakischen Souveränität Ende März 1939 setzten die Böhmisch-Mährischen Bahnen (BMB) die beiden Exoten ein, stellten den M124.002 aber im September 1939 mit einem Schaden ab. Beim M124.002 riss im Jahr 1940 eine Schieberstange, daraufhin wurde er 1941 von den BMB ausgemustert und noch im gleichen Jahr verschrottet. Das heutige Museumsfahrzeug M124.001 stellten die BMB im Sommer 1943 nach einem Unfall ab und ersetzten es durch eine Dampflok der Reihe 310. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die nunmehr wieder zuständigen ČSD den Dampftriebwagen M124.001 in Nymburk instand. Allerdings kam er nach seiner Wiederinbetriebnahme in Dobruška kaum noch zum Einsatz, deshalb musterten ihn die ČSD 1947 aus. Inzwischen interessierte sich das Nationale Technische Museum (NTM) in Prag für den Triebwagen. Nach längeren Verhandlungen mit der Staatsbahn trat er am 6. Oktober 1949 seine vorläufig letzte Reise in die Hallen des NTM in Prag-Letna an.
Wieder unter Dampf
Als sich im Jahr 2003 der Bau und Anfang 2004 die Indienststellung des Dampftriebwagens zum 100. Mal jährten, entstand die Idee, das Fahrzeug wieder in Betrieb zu nehmen. Die Aufarbeitung erfolgte 2005/06 im Ausbesserungswerk in České Velenice. Stationiert wurde das Fahrzeug anschließend zunächst im ČD-Museum Luzna u Rakovnika. Im Jahr 2011 wurde der einzigartige Triebwagen mit einem Schaden abgestellt. Ab 2015 befasste sich die „Erste Koliner Lokomotivgesellschaft für Reparatur und Bau von Dampflokomotiven“ im NTM-Depot Chomutov (Komotau) mit der Beseitigung der verschiedenen Mängel aus der Aufarbeitung in České Velenice, um das Fahrzeug zum 200. Gründungstag der Waggonfabrik Ringhoffer betriebsfähig präsentieren zu können. Seit 2015 ist der M124.001 in der Außenstelle des NTM in Chomutov stationiert und wird vom NTM selbst eingesetzt. Es bleibt zu wünschen, dass dieser Triebwagen häufig im Einsatz zu erleben sein wird.
10.02.2020