Kommentar
Wer macht eigentlich Verkehrspolitik im Freistaat Sachsen?
Das Jahr 2016 begann mit einem echten Knaller für die Verkehrspolitik im Freistaat Sachsen: Der Verkehrsverbund Mittelsachsen (VMS) verkündete die beabsichtigte Einstellung des Eisenbahnverkehrs auf der direkten Verbindung zwischen Chemnitz und Aue, denn zwischen Chemnitz und Thalheim sollen dann Fahrzeuge des sogenannten „Chemnitzer Modells“ fahren und zwischen Thalheim und Aue brauche man keine Eisenbahn mehr. Fahrgästen von Chemnitz nach Aue stehe ja die Verbindung über Zwickau zur Verfügung. Und die verbleibenden Strecken der DB Erzgebirgsbahn würden eh neu ausgeschrieben.
Ein durch alle politischen Lager in der Region zu vernehmender Aufschrei war die Folge, vielleicht führt er ja letztendlich zu einer Klärung der Eingangsfrage. Normalerweise lautet die Antwort auf diese wohl eindeutig: der Landtag und die Landesregierung. Doch in der Praxis ist es der VMS, der sich hier zur verkehrspolitischen Leitzentrale aufschwingt. Wenn man sich dazu wieder einmal vergegenwärtigt, dass sich der kleine Freistaat fünf eigenständige ÖPNV-Zweckverbände leistet, die allesamt die Kirchturmklientelpolitik der beteiligten Landkreise widerspiegeln, dann wird das Unverständnis noch größer. Regionalisierung des SPNV war die Aufgabe, nicht Lokalisierung! Da fragt man sich natürlich, was eigentlich die Abgeordneten im Landtag für eine Aufgabe wahrnehmen, wenn sie ihre originäre Aufgabe der Landesverkehrspolitik an eine nicht demokratisch legitimierte Verwaltungsinstitution übertragen. Zurück zum Kern des Vorhabens des VMS, das nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die direkt Beteiligten kalt erwischt hatte. Dass der VMS im Lechzen nach Landesfördermitteln zugunsten des „Pilotprojektes Chemnitzer Modell“ mit der Nutzung von Eisenbahngleisen für Stadt- und Straßenbahnfahrzeuge diesen Betrieb bis Thalheim ausweiten und nebenbei eine Straßenbahntrasse durch den schönen Baumbestand im Chemnitzer Univiertel schlagen will, ist schon länger bekannt. Dass die privilegierte Nutzung des Eisenbahngleises für die Hybridstraßenbahn dann der Niedergang für die Nutzung der Strecke für Eisenbahnzwecke ist, dürfte spätestens seit der Betriebsaufnahme der Linie nach Stollberg aber auch bekannt sein.
Doch dass man kurzerhand einen Ort wie Zwönitz, zudem noch einwohnerstärker als Stollberg, gänzlich vom Eisenbahnverkehr abschneidet und diese Verkehrsleistungen ab Thalheim wegen geringem Bedarf abbestellen will, ist schlicht eine Verdrehung von Tatsachen. Inzwischen hat die DB Erzgebirgsbahn mit eigenen Zählungen nachgewiesen, dass in den 15 Jahren ihrer Betriebsführung der Fahrgastzuspruch meist um das Vier- bis Fünffache gestiegen ist und 1000 Fahrgäste pro Tag erreicht werden. Aber dem VMS geht’s ja nicht um Eisenbahnbetrieb. Dieser war dem Chef des VMS, Dr. Neuhaus, und seinen Mitarbeitern schon immer suspekt: Mit Bussen könne man den Verkehr doch schließlich auch Verteilen. Dass die DB Erzgebirgsbahn auch in die Strecke Chemnitz – Aue in den vergangenen Jahren erhebliche Summen zur Infrastrukturverbesserung, Anlagenerneuerung und für elektronische Stellwerkstechnik fließen ließ, spielt keine Rolle. Abschreibungszyklen und Amortisationsrechnungen sind anscheinend unwichtig, wenn der VMS am großen Verkehrspolitikrad drehen kann. Auch dass die DB Erzgebirgsbahn mit ihrem regional vernetzten und sich hier persönlich engagierendem Personal tatsächlich die Wahrnehmung der Eisenbahn in der Region verbessert hat, wird einmal mehr ignoriert. Nicht verwunderlich, dass die DB Erzgebirgsbahn daraufhin in ihrer Presse- und Öffentlichkeitsinformation auf ein offensichtlich unlauteres Gebaren des VMS verwiesen hatte, durch einseitige Leistungskürzungen den Verantwortlichen aber finanzielle wie juristische Probleme überhelfen wollte, die diese nicht übernehmen konnten, weshalb es nun zu einer Neuausschreibung kommen soll.
Noch einmal im Klartext: Es geht nicht darum, dass sich verringerte Zuschüsse des Bundes und Landes nicht auch in Leistungseinschränkungen im Angebot niederschlagen können. Aber es ist mit demokratischem Verständnis überhaupt nicht zu vereinbaren, wenn derartige Entscheidungen zur Verkehrspolitik, die spürbare Auswirkungen für viele Menschen haben werden, in intransparenten Klüngelrunden eines Verkehrsverbundes und nicht durch die dafür zuständige Landespolitik getroffen werden – die ganz klar einem Bürger- und Wählerauftrag verpflichtet ist. Schafft endlich diese Substrukturen der Verkehrspolitik ab und macht gefälligst die Arbeit, für die ihr gewählt worden seid, liebe Landtagsabgeordnete aller Parteien!
14.02.2016