Fahrzeuge im Porträt
60 Jahre Brockenlok
Seit fast sechs Jahrzehnten prägen sie das Erscheinungsbild der Schmalspurbahnen im Harz: die heute umgangssprachlich „Brockenloks“ genannten 1´E1’ h2-Neubauloks aus den 1950er Jahren. Als im Jahr 1955 die ersten Maschinen dieser leistungsstarken Serie im Harz eintrafen, gehörten sie bereits zu den letzten in Deutschland gebauten Dampflokomotiven. Unter dem Motto „60 Jahre Brockenlok“ erinnert die Harzer Schmalspurbahnen GmbH (HSB) in diesem Jahr mit Fotosonderfahrten an das 60. Jubiläum dieser für die Schmalspurbahnen im Harz typischen Baureihe.
17 Lokomotiven für Reichsbahn gebaut
Mit 700 PS Leistung, einem Dienstgewicht von 61 t und ihrer wuchtigen Erscheinung sind die „Brockenloks“ nicht nur technisch wie optisch wahre Kraftpakete. Sie sind auch charakteristisch für den Harz, denn nur hier können sie im täglichen Einsatz bewundert werden. Die schwarzen Boliden der Reichsbahnbaureihe 99.723–724 bilden dabei mit ihren 17 Exemplaren den zahlenmäßig größten Anteil am heute insgesamt 25 Maschinen umfassenden Dampflokbestand der HSB. Gleichsam sind die markanten „Riesen“ nicht nur die jüngsten Dampflokomotiven auf Harzer Gleisen, sie gehören auch zu den letzten in Deutschland überhaupt gebauten Vertretern ihrer Spezies.
Wie kam es zum Bau der Lokomotiven?
Die Deutsche Reichsbahn (DR) hatte 1949 den Betrieb auf der Harzquer-, Brocken- und Selketalbahn übernommen und begann aufgrund des Fahrzeugmangels und der Überalterung des vorhandenen Fuhrparks rasch mit der Entwicklung neuer Dampflokomotiven. Gänzlich neu war dieser Ansatz indes nicht, denn schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatte die Nordhausen-Wernigeroder Eisenbahn AG (NWE) ähnliche Überlegungen angestellt. Der im Sommer 1950 durch die Wiederaufnahme des Brockenverkehrs nochmals erhöhte Fahrzeugbedarf forcierte das Vorhaben und so erhielt der VEB Lokomotivbau „Karl Marx“ in Babelsberg (LKM) noch im Herbst desselben Jahres den Auftrag zum Entwurf leistungsfähiger Maschinen. Zu dieser Zeit wurde bereits der Begriff „Brockenlok“ durch das Technische Zentralamt der DR (TZA) geprägt, wobei sich die Konstruktion in technisch verbesserter Hinsicht an den Einheitslokomotiven 99 221 bis 99 223 aus den 1930er Jahren anlehnte. Mit der betriebsfähigen 99 222 (Baujahr 1931) verfügt die HSB übrigens über das letzte Exemplar dieser Vorbildbaureihe. Den Auftrag zur Fertigung der Neubaulokomotiven erteilte die Reichsbahn 1952.
Lieferungen in den Harz und nach Thüringen
Ende Januar 1955 traf mit 99 232 die erste „Brockenlok“ fabrikneu in Wernigerode ein. 99 231, die numerisch erste Lok der Reihe, präsentierte LKM im März 1955 noch auf der Leipziger Frühjahrsmesse. Die Auslieferung der kompletten Serie, 99 231 bis 99 247, war 1956 abgeschlossen. Mit Ausnahme von 99 236 und 99 237, die ihren Dienst auf Verfügung der DR werksfrisch bei der Schmalspurbahn Eisfeld – Schönbrunn (Kreis Hildburghausen) in Thüringen antraten, stellte sie die DR im Harz in Dienst. Der Einsatz der „Brockenloks“ auf der Harzquer- und Brockenbahn für den Reise- sowie Güterverkehr konnte jedoch erst gegen Ende 1956 erfolgen. Intensive Erprobungen hatten zuvor zu notwendigen Änderungen an der Gleisinfrastruktur sowie konstruktiven Änderungen am Fahrwerk dieser bislang schwersten Lokomotiven auf den Gleisen des „Netzes Wernigerode“ geführt. Bei ihren ersten Probefahrten war 99 232 mehrmals entgleist.
Kompletter Bestand ab 1974 im Harz
In den Folgejahren setzte die Reichsbahn weitere „Brockenloks“ nach Eisfeld um, zum Teil mit einem Umweg über die Schmalspurbahn Gera-Pforten – Wuitz-Mumsdorf, wo bisher aber keine Einsätze nachweisbar sind. Ab 1961 standen im Harz insgesamt 13 der Maschinen zur Verfügung, in Eisfeld verblieben die 99 231, 99 235, 99 236 und 99 237. Nach Stilllegung der dortigen Strecke war der Bestand ab 1974 erstmals vollständig im Harz vorhanden. Zwischenzeitlich hatten die Loks 1970 ihre noch heute gültigen EDV-Bezeichnungen 99 7231 bis 99 7247 erhalten. Ab 1976 sorgten die Lokomotiven durch den Einbau einer Ölfeuerung erneut für Aufsehen. In den folgenden Jahren trugen die Maschinen dadurch auch geänderte Nummernschilder – bei den umgebauten Loks ersetzte eine 0 die 7 der Tausenderstelle. Die Ölkrise sowie technische Probleme führten 1981/82 zum Rückbau auf Rostfeuerung, wonach auch die 7 wieder an die Tausenderstelle der Betriebsnummern rückte. Teils neue Rahmen gefertigt Alle „Brockenloks“ gingen am 1. Februar 1993 mit der Betriebsaufnahme der HSB in das Eigentum des noch jungen Unternehmens über, welches zwischen 2004 und 2012 insgesamt zehn Exemplare mit neuen Rahmen und Zylindern für weitere Einsatzjahre ertüchtigte. Die Belastungen – insbesondere durch den Güterverkehr – hatten im Laufe der vielen Einsatzjahre zu vermehrtem Verschleiß an den Loks geführt. Neben Unikaten der Baujahre 1897 bis 1939 prägen die markanten „Riesen“ auch heute noch das Erscheinungsbild der Dampfeisenbahn auf dem 140,4 km umfassenden Streckennetz und stehen bei Enthusiasten aus aller Welt hoch im Kurs.
Sonderfahrtprogramm 2015
Anlässlich des 60. Jubiläums ihrer Indienststellung wird die HSB in diesem Jahr mehrere Fotosonderfahrten durchführen. Dabei werden die „Brockenloks“ an den Wochenenden 18./19. April, 16./17. Mai sowie 13./14. Juni vor verschiedenen Zuggarnituren auf den Strecken der Harzquer-, Brocken- und Selketalbahn zum Einsatz kommen. Darüber hinaus ist am 17. April eine Foto-Aufstellung mehrerer „Brockenloks“ in Wernigerode vorgesehen. Informationen zu den Fahrten sind telefonisch unter (0 39 43) 55 80 sowie im Netz unter www.hsb-wr.de erhältlich.
06.04.2015