Stillgelegte Eisenbahnstrecken heute
Einem Veteran auf der Spur – die fast vergessene Schmalspurbahn in Halle
In den vergangenen Monaten machten zwei meterspurige Dieselloks Schlagzeilen. Während die eine nach Georgenthal in Thüringen geholt worden ist, erhielt die andere eine neue Lackierung und kann nun im Standort Halle (Saale) des DB-Museums (ehem. Bw Halle P) besichtigt werden. Doch woher stammen diese beiden Fahrzeuge? Die Erinnerungen von PK-Leser Hans-Joachim Kreß aus Halle (Saale) geben darüber Auskunft.
Mein Geburtshaus lag in der Turmstraße zu Halle an der Saale, genau an der Straße, wo die Schmalspurbahn verlief und deren Gleise in die einzelnen Fabrikhallen der Maschinenfabrik Halle (Saale) – unter anderem der früheren Firma Wengelin & Hübner – einmündeten. Durch die Beobachtungen von Rangierfahrten verlängerte sich mein Schulweg ungemein und brachte mir eine Menge Ärger seitens meiner Mutter ein. Doch was war das nun für eine Schmalspurbahn inmitten der Stadt Halle? Vom Staatsbahnhof führte zum Sophienhafen an der Saale eine regelspurige Hafenbahn, welche ab 1897 zur 1895 eröffneten Halle-Hettstedter Eisenbahn gehörte. Die zentrale Betriebsstelle der Hafenbahn war der Industriebahnhof. Um die im Süden von Halle befindlichen Maschinenfabriken an diese regelspurige Verbindungsbahn anschließen zu können, baute die Hallesche Hafenbahn AG 1894/95 vom Industriebahnhof aus eine 1000-mm-Schmalspurbahn. Während der Lokschuppen und die Werkstatt der Regelspurbahn mitgenutzt werden konnte, entstanden zwei Rollbockgruben sowie ein Wasserkran und später auch eine Wasserentnahmestelle neu.
Eröffnet wurde die Meterspurbahn am 13. Februar 1895; ihre Länge betrug 1,21 km, auf denen sieben Fabriken Anschluß erhielten. Den Bau der Bahnanlagen hatte für die Hafenbahn AG die Firma Königer, Knoch & Kallmeyer ausgeführt. 1949 übernahm die Deutschen Reichsbahn die Betriebsführung der meterspurigen Industriebahn, wodurch sie die einzige komplette Schmalspurbahn – noch dazu ohne Personenverkehr – in der damaligen Reichsbahndirektion Halle (Saale) wurde.
In den ersten sieben Betriebsjahrzehnten erbrachten zwei B-gekuppelte Naßdampflokomotiven, hergestellt 1894 von Hagans in Erfurt, die Zugleistungen. Sie erhielten 1950 die Betriebsnummern 99 5801 und 99 5802. Keine der beiden Lokomotiven verfügte über eine Mittelpufferkupplung, da sie nur zur Beförderung von regelspurigen Güterwagen auf Rollböcken vorgesehen waren. Sie besaßen aber vorn und hinten je eine Kuppelstange, welche bei Bedarf hochgeklappt werden konnte. 1963 setzte die DR die Diesellok Kö 6502 aus Stralsund Ost nach Halle (Saale) um. Daraufhin konnte 99 5802 abgestellt werden. Nachdem 1965 mit Kö 6501 eine zweite Diesellok vom Typ Ns3e an die Saale gekommen war, stellte die DR auch 99 5801 ab. 1966/67 traten die beiden Dampfloks ihre Fahrt in den Siemens-Martin-Ofen an. Fortan waren allein die seit 1970 als 199 003-5 und 199 004-3 geführten Diesellokomotiven auf der Industriebahn im Einsatz. Beide B-dm waren 1953 vom VEB Lokomotivbau „Karl Marx“ in Potsdam-Babelsberg werksneu an die Sowjetarmee in der DDR geliefert worden. 1955 übernahm die DR beide Ns3e und setzte sie auf dem Netz der ehemaligen Franzburger Kreisbahn Nord ein.
Nachdem die beiden Schmalspurdieselloks verschlissen waren, übernahmen 1983/84 zwei auf 1000 mm umgespurte ehemalige Regelspurkleindiesellokomotiven der Leistungsgruppe II (Kö) ihre Aufgaben. Sie wurden in Zweitbesetzung ebenfalls als 199 003-5 und 199 004-3 geführt. Hinter 199 003-5 II verbirgt sich die 1962 im Raw Dessau gebaute Kö 4028 II (ab 1970 DR-Nr. 100 128-8), während 199 004-3 bereits 1934 von O&K als Kö 4187 geliefert worden war (DR-Nummer ab 1970: 100 287-2).
Anfang der achtziger Jahre bediente die Industriebahn Halle noch drei Anschlüsse, wozu monatlich etwa 30 Güterwagen auf Rollböcke und -wagen „umgespurt“ wurden. In den auf diese Weise beförderten Regelspurwagen rollten die Produkte bzw. Rohstoffe des damaligen VEB Maschinenfabrik Halle (Saale) und des VEB Armaturenwerk Halle (Saale). Noch Mitte der achtziger Jahren fand auch eine Modernisierung des Wagenparks statt: Als Ersatz für die immerhin nun schon 90 Jahre alten Rollböcke erwarb die DR neun Rollwagen der ehemaligen Hohenlimburger Kleinbahn AG aus der damaligen Bundesrepublik. Diese gelangten ab 1987 zum Einsatz.
Anfang Juli 1991 endete der Verkehr auf der schmalspurigen Industriebahn. Bis auf vier Ausnahmen wurden anschließend alle Rollfahrzeuge zerlegt; die beiden Diesellokomotiven verblieben zunächst auf einem regelspurigen Niederbordwagen im Bw Halle (Saale) G. Hier verfielen sie jedoch im Laufe der Jahre. Einen Verkauf der beiden Fahrzeuge lehnte die DB allerdings lange Zeit ab. Erst vor einem Jahr kam Bewegung in die Angelegenheit: 199 004-3 übernahm das DB-Museum als Schauexponat für seinen Standort in der Saalestadt, während 199 003-5 über die Rennsteigbahn GmbH an die IG Hirzbergbahn e.V. verkauft worden ist. Die in diesem Verein engagierten Schmalspurfreunde haben sie am 11. Juni 2007 nach Georgenthal bei Gotha geholt (siehe PK 96, Seite 24) und arbeiten die Kö seitdem sowohl äußerlich als auch betrieblich auf. Ziel ist es, mit der ehemaligen Industriebahnlok aus Halle (Saale) in Georgenthal die meterspurigen Museumswagen des Vereines zu verschieben.
Doch was ist nun von der Industriebahn Halle noch in der Saalestadt zu sehen? Das Dienstgebäude in der Turmstraße ist abgerissen worden, die Rollbockgruben und die Gleisanlagen sind verschwunden, das Gelände harrt einer neuen Nutzung.
Nach Schließung und durch den Abriß ehemaliger Fabrikteile – andere sind aufwendig saniert worden und beherbergen heute unter anderem ein Autohaus – sind inzwischen auch die Gleisanlagen im Zuge von Straßenbauarbeiten verschwunden. In einem sehr schönen optischen Zustand präsentiert sich der ehemalige Lokschuppen, in dem sich mehrere Handwerksfirmen etabliert haben. Trotzdem wird bei vielen nun meist älteren Hallensern die Erinnerung an diese Schmalspurbahn inmitten der Stadt Halle wach bleiben.
Foto: Günter Meyer
30.11.2007