Fahrzeuge im Porträt
Fahrzeuge des VSE: Diesellokomotive „102 082“
I. Einführung
Die Deutsche Reichsbahn hatte ab den dreißiger Jahren zahlreiche Kleinlokomotiven für den leichten Rangierdienst beschafft. Diese bildeten die Grundlage für den Anfang der fünfziger Jahre wiederaufgenommenen Bau von Diesellokomotiven im VEB Lokomotivbau Karl Marx Babelsberg (LKM). Zunächst entstanden ab 1952 den Einheitskleinlokomotiven ähnliche Rangierlokomotiven des Types N3 mit Kettenantrieb. 112 Lokomotiven wurden hiervon an Industriebetriebe der DDR geliefert. Parallel entstand ab 1950 der Typ N4 mit einer Motorleistung von 90 PS und Stangenantrieb. Die 253 Lokomotiven wurden bis 1958 ausgeliefert. Abgelöst wurde die Fertigung durch den Typ V10B, der ab 1958 gefertigt wurde. Hier kam erstmals ein vollständig neukonstruierter Lokrahmen mit hochliegendem Führerhaus zum Einsatz. Die Lokomotiven verfügten über einen luftgekühlten 102-PS-Dieselmotor und ein mechanisches Viergang-Schaltgetriebe. Für den Einsatz auf Reichsbahnstrecken wurden die Lokomotiven mit einer Druckluftbremse ausgerüstet. Für die Deutsche Reichsbahn kam jedoch die Beschaffung dieses Types nicht in Frage, da die Leistung für den Rangierdienst als nicht ausreichend erachtet wurde. Das Beschaffungsprogramm der Deutschen Reichsbahn sah die Beschaffung einer 150-PS-Lokomotive mit hydraulischer Leistungsübertragung vor, die aus dem Typ V10B abgeleitet wurde. Die ersten 20 Maschinen stellte die Reichsbahn 1958/59 in Dienst und reihte sie in die Baureihe V15.10 ein. Ihnen folgte ab 1960 weitere 239 Lokomotiven mit einer auf 180 PS erhöhten Motorleistung, die bis 1964 ausgeliefert und als Baureihe V15.20 bezeichnet wurden. Unter der Werksbezeichnung V18 wurden diese auch an Industriebetriebe geliefert. Nachdem im Sommer 1967 ein auf 220 PS verstärkter Dieselmotor der Bauform 6VD18/15-1SRW zur Verfügung stand, wurde dieser von der Reichsbahn mit einem neuentwickelten Strömungsgetriebe in einer V15 erprobt. Aufgrund der erfolgreichen Versuche lieferte LKM 1968 innerhalb von acht Monaten 80 Maschinen als neue Baureihe V23 an die Reichsbahn. Der Grundaufbau der Lokomotive entsprach dem der V15. Auf eine weitere Beschaffung der V23 wurde durch die Deutsche Reichsbahn zugunsten eines neuentwickelten Types verzichtet, der als Baureihe 102.1 ab 1970 indienstgestellt wurde. Für Industriebetriebe wurde die 220-PS-Lok durch LKM unter der Werksbezeichnung V22B angeboten und auch nach der offiziellen Umwandlung des Betriebes zum VEB Kombinat Luft- und Kältetechnik, Betrieb Karl Marx Babelsberg zum 31. März 1970 weiterhin gefertigt. So verließen noch bis mindestens 1976 Diesellokomotiven die ehemaligen O&K-Werkhallen in Babelsberg.
II. Die Baureihe 102.0
Das Lokkonzept basierte auf dem seit 1958 gefertigten Kasten des Types V10B, der auch beim Typ V15 bereits zum Einsatz kam. Identisch waren damit der Achsstand von 2500 mm und eine Länge über Puffer von 6940 mm. Ebenso wurde der Radsatzdurchmesser von den zuletzt gefertigten Fahrzeugen des Types V15 von 1000 mm übernommen. Das Fahrwerk gewährleistet dabei ein Durchfahren von Gleisbögen mit 40 m Radius. Der hochliegende Führerstand muß im Gegensatz zu den Kleinlokomotiven über eine Leiter erreicht werden. Das Bedienpult befindet sich zum Vorbau hin, wobei alle im Betrieb erforderlichen Bedienelemente von links und rechts zu bedienen sind. Die Maschinenanlage ist im Vorbau untergebracht, womit eine gute Geräuschdämmung zum Führerstand erzielt wurde. Zum Einsatz kamen ein Dieselmotor 6VD 18/15-1 SRW mit einer Leistung von 220 PS (162 kW) bei 1500 min-1 . Für die Leistungsübertragung wurde ein neu entwickeltes Strömungsgetriebe GSU 20/4.2 eingesetzt, daß als Zwei-Wandler-Getriebe ausgeführt wurde. Die V15- hatte hingegen ein Getriebe mit einer Wandler und zwei Kupplungsstufen erhalten. Der Radsatzantrieb erfolgt über Blindwelle und Stangen. Bedingt durch den leistungsstärkeren Antrieb vergrößerte sich die Dienstmasse der Lok auf 24 Tonnen gegenüber 21,5 Tonnen der V15. Damit konnten die Lokomotiven eine Höchstgeschwindigkeit von 37 km/h erreichen. Die Lastentafel sah bei dieser Geschwindigkeit eine Zuglast von 180 t vor, auf 10 Promille konnten noch 120 Tonnen mit 20 km/h befördert werden. Für einen Einsatz im Streckendienst wurde die Lok mit einer Druckluftbremse ausgerüstet, der Kompressor wird vom Strömungsgetriebeeingang mittels Keilriemen angetrieben. Eine Ausrüstung mit Sicherheitsfahrschaltung unterblieb zunächst, so daß die Loks bei Einsatz im Streckendienst mit Beimann gefahren werden mußten. Ein Tank mit 400 Litern Kraftstoff sorgte für eine ausreichende Reichweite. Ins Westerzgebirge kam die neue Baureihe 102.0 planmäßig nicht zum Einsatz, da das Bw Aue ab 1970 über vier Maschinen der Baureihe V15 (BR 101) verfügte. Jedoch besaßen Industriebetriebe Lokomotiven des Types V22B. Der Rückgang im Güterverkehr nach 1990 machte sie hier überflüssig.
III. Aus dem Betriebseinsatz der „102 082“
Die Lokomotive “ 102 082“ wurde 1976 beim VEB Maschinenbau Karl Marx Babelsberg, dem ehemaligen Lokbau „Karl Marx“ unter der Fabriknummer 0262.6.641 hergestellt. Ihre Probefahrten absolvierte sie am 29. März 1976 von Drewitz nach Beelitz-Heilstätten, wobei die Lastprobefahrt mit „Lok abgebremst“ vollzogen wurde. Zwei Tage später erfolgte die Abnahme der Lok durch den Abnahmeingenieur der Deutschen Reichsbahn. Ab 1. April 1976 kam die Lok als Werklok im VEB Baustoffversorgung Karl-Marx-Stadt, Zentrallager Grünstädtel, zum Einsatz, dessen Anschlußbahn im Bahnhof Grünstädtel abzweigte. Die Erlaubnis zur Inbetriebnahme erteilte die Staatliche Bahnaufsicht in Dresden am 17. Juni 1976. Die Lok entsprach der Reichsbahn-Baureihe V23 und wurde werksintern als V22B bezeichnet. Da sie nicht zum Reichsbahnbestand zählte, erhielt sie auch keine Reichsbahn-Nummer! Von 1976 bis 1993 übernahm sie den Rangierdienst auf der Anschlußbahn in Grünstädtel, wo sie Sand- und Zement-Züge zur Entladung bereitstellte. Die Unterhaltung erfolgte 1980 und 1984 durch das Raw Halle, in dem auch die kleineren Rangierloks der DR aufgearbeitet wurden. Letzmalig war die Lok am 7. April 1989 in Halle zur Schadgruppe V6a zu Gast. 1990 wurde der Betrieb in Grünstädtel durch die Fa. Raab-Karcher übernommen. Der nachfolgende Rückgang im Güterverkehr sorgte 1993 zur Einstellung des Betriebes der Anschlußbahn. Die V22B war zu diesem Zeitpunkt bereits abgestellt, das Rangieren hatten zuletzt die DR-Lokomotiven übernommen.
IV. Die „102 082“ als Museumslok
Da die Lok in Grünstädtel nun nicht mehr benötigt wurde, wurde sie im Frühjahr 1994 dem VSE zur Übernahme für das Eisenbahnmuseum Schwarzenberg angeboten. Am 19. Februar 1994 wurde die Lok schließlich in den Bestand des Eisenbahnmuseums Schwarzenberg übernommen. Die Lok entsprach der Reichsbahn-Baureihe 102.0, von der nach der die Reichsbahn nach Übernahme einer Werklok bereits 81 Maschinen besaß. Die neue Museumslok wurde auf die nächste freie Ordnunsnummer „102 082“ eingereiht. Hier kam sie fortan als schwere Rangierlok im Bw-Verschub zum Einsatz, da die beiden Kö-Lokomotiven mit den schweren Schlepptender-Lokomotiven überfordert waren. Anläßlich des Tages der Sachsen in AnnabergBuchholz verließ die Lok 1994 nochmals das Gelände am Schwarzenberger Lokschuppen. Gemeinsam mit anderen VSE-Fahrzeugen stand sie auf der Fahrzeugausstellung im unteren Bahnhof von Annaberg-Buchholz. Die betriebsfähige Lok wird planmäßig für Rangierarbeiten im Museumsgelände genutzt.
31.05.2006