Fahrzeuge im Porträt
Kleindiesellokomotive N4 (LKM 1955/251082)
I. Einführung
Der Zweite Weltkrieg hatte 1945 Deutschland als Trümmerfeld hinterlassen. In den ehemals drei Berliner Lokomotivfabriken – Hennigsdorf, Babelsberg und Wildau – waren zahlreiche Maschinen von der sowjetischen Besatzungsmacht demontiert worden. Nach der Neubeschaffung von Werkzeug und Maschinen wurden die Werke recht schnell zur Instandsetzung kriegsbeschädigter Dampflokomotiven herangezogen, mußte Babelsberg aber andererseits auch sofort umfangreiche Aufträge für Reparationslieferungen an die Sowjetunion übernehmen. Erst Anfang der fünfziger Jahre stabilisierte sich die Situation wieder soweit, daß auch an Neuentwicklungen von Lokomotiven für die Reichsbahn zu denken war. Die ehemalige AEG-Lokomotivfabrik in Hennigsdorf, neu firmierend als LEW, konzentrierte sich auf die Entwicklung elektrischer Triebfahrzeuge, im ehemaligen O & K-Werk in Potsdam-Babelsberg, neu firmierend unter dem Namen Lokomotivbau „Karl Marx“, entstanden neben den DR-Neubaudampflokomotiven neue Baureihen von Kleindiesellokomotiven. Das Programm an Kleinlokomotiven für Industriebetriebe sah neben fünf Typen von Schmalspurlokomotiven auch zwei Normalspurtypen vor. Beiden gleich war ein von den Kleinlokomotiven der DRG/DRB nahezu unverändert übernommener Lokkasten. Während die Bauart N3 mit einem 60 PS-Motor und Kettenantrieb auf die Radsätze ausgerüstet wurde, erhielt der Typ N4 einen 90 PS-Motor und Blindwellenantrieb mit Stangen.
II. Technische Beschreibung des Typs N4
Das Konzept des Typs N4 basiert auf dem Lokkasten der Einheits-Kleinlokomotiven, Länge über Puffer mit 6450 mm und Achsstand mit 2500 mm sind identisch ausgeführt. Da im Bereich der DDR kein Hersteller für hydrodynamische Leistungsübertragung vorhanden war, mußten die Lokomotiven mit einem mechanischen Schaltgetriebe ausgerüstet werden. Als Dieselmotor kam ein 6 KVD aus dem VEB Dieselmotorenwerk Schönebeck zum Einbau. Mit einer Dienstmasse von 17 t konnten sie Krümmungshalbmesser von 50 m bei einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h befahren. Die ersten Exemplare wurden 1950 geliefert, bis 1958 wurden 253 Lokomotiven des Typs N4 an DDR-Betriebe, aber auch nach Polen, Ungarn, Bulgarien, in die CSSR, nach Jugoslawien und China geliefert. 1958 wurde die Fertigung des Typs N4 durch die Baureihe V 10 B abgelöst, die über einen luftgekühlten 102 PS-Motor verfügte, wobei der Antrieb über ein Stufenschaltgetriebe beibehalten wurde. Bis Ende der neunziger Jahre standen die N4-Lokomotiven noch bei verschiedenen Anschlußbahnen in den östlichen Bundesländern im Einsatz. Die Verlagerung von Transporten auf die Straße im Zuge einer verfehlten Verkehrspolitik machte sie weitestgehend arbeitslos.
III. Aus dem Betriebseinsatz der VSE-N4
Die N4-Lokomotive wurde 1955 vom VEB Lokomotivbau „Karl Marx“ in Babelsberg unter der Fabriknummer 251 082 gebaut. Die Abnahme der Lokomotive erfolgte am 24. November 1955. Als Motor kam ein EM 6-15 SRW aus dem Motorenwerk Schönebeck mit einer Leistung von 90 PS zum Einsatz. Nach erfolgter Abnahme gelangte die Lok am 25. November 1955 zur Kartonagenfabrik Heidenau, wo sie bis zum 5. Dezember 1971 im Einsatz stand. Danach wechselte sie zur Papierfabrik Großenhain. Am 21. Oktober 1989 wurde die Lok zum Pappenwerk Raschau umgesetzt, wo sie die bisherige Rangierlokomotive, eine A4M420, ablöste. Inzwischen hatte sie einen 6VD-14,15/12-SRL-Motor mit einer Leistung von 102 PS erhalten, wie er auch in den Lokomotiven des Typs V 10 B üblich war. In Raschau stand die N4 bis Ende der neunziger Jahre im Einsatz. Hier erhielt die Lok sogar eine Zulassung für die Gleise des Bahnhofes Raschau, obwohl dieser schon lange keine Weichen mehr besaß. Die Anschlußbahn des Pappenwerkes befand sich am km 22,8 zwischen den Bahnhöfen Schwarzenberg und Grünstädtel. Die letzte Instandsetzung der N4 erfolgte 1998 in der Lokreparatur Tharandt GmbH, wo auch alle vorherigen Untersuchungen erfolgt waren.
IV. Die N4 als VSE-Museumslok
Nachdem DB Cargo den Bedienungsvertrag für die Anschlußbahn der Kartonagen Schwarzenberg GmbH, dem ehemaligen Pappenwerk Raschau, im Jahre 2002 gekündigt hatte, wurde die N4 auf der zwischen Schwarzenberg und Grünstädtel gelegenen Anschlußbahn arbeitslos. Da für eine Lok dieser Leistungsklasse kaum eine geeignete Weiterverwendung vorhanden ist, gelang es dem VSE im Frühjahr 2003, die Lok als Leihgabe in den Bestand des Eisenbahnmuseums Schwarzenberg zu übernehmen. Am 12. Juni 2003 wurde die Lok ins ehemalige Bw überführt. Doch die Lok erlitt nur wenige Tage vor der Überführung einen größeren Vandalismusschaden, bei dem u. a. die Fensterscheiben zerschlagen wurden. Nach Beseitigung dieser Schäden ist geplant, die Lok mit Unterstützung der Kartonagen Schwarzenberg GmbH wieder betriebsfähig herzurichten und auf der VSE-Anschlußbahn im Rangierdienst einzusetzen.
27.05.2005