Bücher-Markt
Rezensiert: Damals …, Band 6 | Vom Bürgelschen Esel…
Gunther Wilde, Horst Müller, Andrej Willms
Damals …, Band 6
Vom Bürgelschen Esel. Gleise im Gleistal – Bahngeschichte zwischen Jena, Eisenberg und Crossen.
320 Seiten, Format 21,1 x 26 cm, Hartpappeinband mit ca. 470 Fotos, davon ca. 125 in Farbe, und 85 Grafiken edition bohemica, Goldkronach 2022. ISBN: 978-3-940819-36-9 Preis: 49,95 Euro
Auch wenn es der Buchtitel im ersten Moment so anmuten lässt: Der Verlag von Andreas W. Petrak hat nicht das Genre gewechselt und wendet sich jetzt auch Sagen- oder Tiergeschichten zu. Ein für viel Spott sorgender „Jagderfolg“ anno 1597 findet sich nicht nur an vielen Stellen des vor allem durch das Keramikhandwerk bekannten thüringischen Städtchens Bürgel wieder. Auch auf die im 6. Band dieser Reihe beschriebene Bahnlinie von Crossen an der Elster nach Porstendorf übertrug der Volksmund diesen Scherznamen, denn Bürgel war eine bedeutende Station dieser regelspurigen Strecke.
Bevor der Ort im zweiten Teilstück 1906 den ersehnten Bahnanschluss erhielt, machten sich zwei Protagonisten der Redewendung nach zum Grautier: zum einen Ferdinand Pleßner, zum anderen Herrmann Bachstein. Pleßner verantwortete als Generalunternehmer und Pächter sowohl den Bau als auch den Betrieb des ersten Teilabschnittes von Crossen nach Eisenberg, der am 1. April 1880 eröffnet wurde. 5,2 km der insgesamt 8,25 km langen Strecke trassierte er als Dampfstraßenbahn durch die Dörfer. Trotz einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung stieß dieser Umstand in Verbindung mit der Verwendung minderwertiger Gleisbau-Materialen und knapper Fahrzeugressourcen nicht überall auf Gegenliebe. Bachstein übernahm nach Pleßners Tod 1898 die Betriebsführung, bemühte sich auch um die Verlängerung der Strecke über Eisenberg hinaus, wurde aber letztlich zum Verlierer des Machtstrebens der Königlich Preußischen Staatseisenbahnen, die dank politischer Unterstützung und stückweit auch Spielchen im Jahr 1900 die bestehende Strecke übernahm, neu trassierte sowie die Verlängerung bis in das Saaletal realisierte.
Die drei Buchautoren zeichnen zusammen mit Andreas W. Petrak einen spannend zu lesenden Bogen von der Vorgeschichte, dem Bahnbau, dem Betrieb zunächst als Privatbahn und später durch die Staatsbahnen bis hin zu den Streckenstilllegungen. Der Abschnitt nach Porstendorf wurde 1969 auch ein Opfer der ungünstigeren Streckenführung im Gegensatz zur kürzeren Kraftverkehrsverbindung nach Jena. Die Stilllegung des Teilstückes nach Crossen folgte 1998 wegen des Zusammenbruches des Industriestandortes Eisenberg und des zurückgehenden Verkehrsaufkommens im Personenverkehr. Der Leser spürt den immensen Aufwand, den die vier „Läufer der Stafette“ – um mit Andreas W. Petraks Worten zu schreiben – für die Recherche betrieben und dabei so manche Überraschungen wie u. a. zur elektrischen Werkbahn der Schamottewerke Eisenberg oder dem Feldbahnbetrieb der Gösener Tonwerke zutage gebracht haben. Die dabei entstandene erste große Publikation zu dieser Bahnstrecke ist der Lohn für diese Fleißarbeit. Dem Rezensenten gefallen auch die von anderen Büchern des Verlages gewohnte Ausführlichkeit und die zahlreichen Blicke „über den Tellerrand“. Wobei für manchen Leser vermutlich auch weniger mehr wäre, was sowohl die für ein Eisenbahnbuch überdurchschnittliche Tiefgründigkeit als auch das eine oder andere Bild betrifft. Ärgerlich sind einzelne Schusselfehler wie fehlende Buchstaben, Zahlen- und Buchstabendreher. Diese schaden aber keinesfalls dem guten Gesamteindruck.
19.02.2023