Schmalspurbahnen in Europa
Die Pilatusbahn: Generationenwechsel bei technischem Unikat
Südlich von Luzern am Vierwaldstättersee erhebt sich als Teil der Zentralschweizer Voralpen das Pilatus-Bergmassiv. Sein höchster Punkt ist das auf 2128 m ü. M. gelegene Tomlishorn. Auf verschiedene Weisen ist der Berg zu erreichen. Wanderer erklimmen den Pilatus zu Fuß, ganz Harte bolzen ihr Mountainbike hoch. Ein Gefühl wie Fliegen verspricht die Luftseilbahn „Dragon Ride“. Eisenbahnfreunde begeistert die 1889 eröffnete, in ihrer Art einmalige Zahnradbahn. Die Fahrt auf den Luzerner Hausberg beginnt in Alpnachstad. Die Anreise ist mit dem (dampfgetriebenen) Schiff oder auf den meterspurigen Gleisen der Zentralbahn Luzern – Interlaken möglich. So oder so sind es nur wenige Schritte zur Pilatusbahn. Die Talstation liegt auf 435 m ü. M., die Bergstation auf 2070 m ü. M. – dazwischen liegt eine Strecke, die ihresgleichen sucht. Auf nur 4,6 km Länge überwindet sie einen Höhenunterschied von 1635 m!
Antrieb und Spurführung nicht auf den Schienen
Das Gleis ist in Neigungen von bis zu 48 % verlegt. Damit ist die Pilatusbahn bis heute die weltweit steilste Zahnradbahn des öffentlichen Verkehrs. Bis zu ihrer Errichtung existierte kein für solche Steigungen taugliches Schienen-/Zahnstangensystem. Der in Zürich geborene Ingenieur Eduard Locher, unter dessen Leitung die Bahn maßgeblich ersonnen und errichtet wurde, modifizierte die stehende Zahnstange System Abt zu einer liegenden, nun beidseitig gezahnten. Unter dem Fahrzeug ordnete er zwei liegende Zahnradpaare an, jeweils von beiden Seiten in die Zahnstange greifend. Das talseitige dient dem Antrieb und Bremsen, das bergseitige nur dem Bremsen. Alle vier Zahnräder sind unter den Zähnen fest verbunden mit radial wirkenden Spurscheiben. Diese rollen am Profil, das die Zahnstange trägt, ab und führen so den Triebwagen horizontal. Da die Spurscheiben unter die Zähne der Zahnstange reichen, verhindern sie zudem das Aufklettern aus der Zahnstange. Somit nehmen die Schienen lediglich die Masse des Fahrzeugs auf und dienen nicht der Spurführung.
Der Bahnbau, die Dampftriebwagen
In der sensationellen Zeit von 400 Arbeitstagen ließ Locher die Bahntrasse 1886 bis 1888 (Winterpausen!) von 600 vor allem italienischen Arbeitern errichten, in vorwiegend harter Handarbeit. sechs Tunnel und 31 Bogenbrücken aus Naturstein waren zu errichten. Teilweise musste die Trasse nahezu senkrechter Felswand abgerungen werden. Die Spurweite von 800 mm ermöglichte Bogenradien von 80 m. Da ein herkömmliches Schotterbett einem 48 % geneigten Gleis keinen Halt bietet, wurde das Gleis auf einer Mauer platziert und mit Stahlankern im Granit fixiert. Als Transportmittel standen die beiden Dampftriebwagen Nr. 1 und 2 bereit. Lieferant war die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur (SLM). Statt mit den Wagenkästen wurden sie vorerst mit Güterplattformen ausgerüstet.
Der Betrieb
Im Juni 1889 wurde der touristische Betrieb aufgenommen. Am letzten Tag dieses Jahres traf der neunte Dampftriebwagen in Alpnachstad ein. Zwei weitere sollten folgen. Die hölzernen Wagenkästen steuerte die Schweizerische Industrie-Gesellschft (SIG) bei. In vier stufenförmig angeordneten Abteilen boten sie 32 Reisenden Platz. Im talseitigen Führerstand/Lokomotivteil war der Dampfkessel querliegend angeordnet, der Wasservorrat lagerte im Rahmen des Dampftriebwagens. Mit der Winterpause 1936 endete die 47-jährige Dampftraktion am Pilatus, fast alle Triebwagen wurden verschrottet – lediglich zwei blieben erhalten. Ausgerüstet mit einer Arbeitsplattform, verblieb der Dampftriebwagen Nr. 9 als letzter bis 1982 für den winterlichen Fahrleitungsbau am Pilatus. Heute ist er im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern mit seinem Personenkasten ausgestellt, während der Triebwagen Nr. 10 im Deutschen Museum München zu bewundern ist.
Die Elektrifizierung
Seit 1937 fahren acht Elektrotriebwagen auf den Berg. Wie ihre dampfenden Vorfahren, wurden sie von der SLM geliefert, der elektrische Teil kam von der Maschinenfabrik Oerlikon (MFO). In den nun fünf Abteilen finden 40 Reisende Platz. Erforderten die Dampftriebwagen drei Mann Besatzung, können die Elektrotriebwagen von nur einem „Bähnler“ geführt werden. Führerstände sind berg- und talseitig angeordnet. Mit den neuen Fahrzeugen verkürzte sich die Dauer der Bergfahrt um 40 min auf 30 min. Ergänzt wurde der Fahrzeugpark später um einen weiteren Triebwagen sowie um einen Gütertriebwagen, der bei Bedarf mit einem Personenkasten ausgerüstet werden kann, sowie um einen dieselelektrischen Arbeitstriebwagen. Mit Holz, Chrom und Polstersitzen begeisterten die Triebwagen ihre Fahrgäste. So mancher bedauerte, nach der Fahrt durch die grandiose Landschaft schon aussteigen zu müssen. Mit der 85 Jahre bewährten Technik waren die Führer der Triebwagen physisch regelrecht mit ihrem Fahrzeug verbunden. Alljährlich während der winterlichen Betriebspause wurden drei Exemplare komplett zerlegt und untersucht. Verschleißteile wurden ersetzt. So war die Flotte stets in „ladenneuem“ Zustand unterwegs – auch äußerlich. Zum letzten Mal nach 85 Jahren zuverlässigem Betrieb brachten am 20. November 2022 die Elektrotriebwagen der ersten Generation begeisterte Fahrgäste auf den Berg. Melancholisch verabschiedeten sich Freunde und Personal von liebgewonnenen Gefährten.
Modernisierung der Bahnanlagen, neue Triebwagen
Um die Bahn für die nächsten 40 Jahre fit zu machen, startete die Pilatus-Bahnen AG das „Jahrhundertprojekt am Pilatus“. Der Betriebsablauf wird optimiert und beschleunigt. Tal-, Mittel- und Bergstation werden umgestaltet. Gleiswender ersetzen Schiebebühnen (das Zahnstangensystem Locher lässt herkömmliche Weichen nicht zu). Für die Steuerung des Betriebs ist ab 2023 nur noch ein Fahrdienstleiter nötig. Sowohl die aus der Zeit der Dampftraktion stammende Bahntrasse inkl. Schienen und Zahnstange als auch die Fahrleitung von 1936 werden weiterverwendet! Seit 2021 liefert der Zahnradbahnspezialist Stadler die neuen Triebwagen Nr. 41 bis 48 nach Alpnachstad. Den nahezu vollverglasten Aufbau steuert Calag Gangloff bei. In den Fahrzeugen finden 46 Reisende Platz. Zwei haben das Privileg, (entgegen der Fahrtrichtung) direkt neben dem Tw-Führer zu sitzen. Mit einem Bedienpult, nicht viel größer als ein Schuhkarton, kann er nicht nur ein Fahrzeug steuern, sondern bei Betrieb in Doppeltraktion noch ein zweites. Damit sind im Zug bis zu 94 Touristen unterwegs.
Hightech ersetzt Nostalgie
Mit der Nr. 41 verkehrte im August 2022 erstmals ein neuer Triebwagen mit Touristen. Im Verbund mit seinen historischen Vorgängern kann er noch nicht all seine Vorteile ausfahren. Noch im selben Jahr machten die alten Triebwagen den acht neuen in der Fahrzeughalle Platz. Lediglich die Tw 22 und 28 sollen betriebsfähig erhalten bleiben. Die neuen Fahrzeuge werden von beiden Zahnradpaaren angetrieben und gebremst. Bei Talfahrt kann elektrische Energie in den Fahrdraht zurückgespeist werden – weshalb die Neuen im Gegensatz zu ihren Vorgängern mit am Fahrdraht anliegendem Stromabnehmer abwärts fahren. Ab 2023 erfolgt die Signalisation direkt in die Fahrzeuge (was einen Mischbetrieb mit den alten Triebwagen ausschließt). Das Zugüberwachungssystem verhindert Kollisionen und sorgt für punktgenaues Halten in den Stationen. Beidseitige Türen vereinfachen und beschleunigen den Betriebsablauf. Das Erlebnis der Bergfahrt währt mit den neuen Fahrzeugen zehn Minuten kürzer.
(Weiteres demnächst auf www.edition99.de)
Quellen:
- Werner Tschudin: Die Triebwagen der Pilatus-Zahnradbahn, Platinum-Verlag 2007, ISBN: 978-3-905914-01-6
- Severin Wallimann: www.dragonride.ch
19.02.2023