Fahrzeuge im Porträt
53 Mh (99 4633) nach ungewöhnlicher Hauptuntersuchung wieder unter Dampf
Bei der PRESS als Betreiber der Rügenschen BäderBahn (RüBB) gibt es ein starkes Bekenntnis dazu, mit ausreichendem Vorlauf bei der Instandhaltung von Lokomotiven dafür zu sorgen, dass der anspruchsvolle Fahrbetrieb insbesondere in der Hochdruckphase im Sommer unter keinen Umständen unter Lokmangel leiden darf. Dementsprechend werden für alle Betriebsloks Planungen aufgestellt, die über die jeweils laufende Untersuchungsperiode hinaus reichen und mit einer Verfügbarkeit zu bestimmten Terminen versehen werden. Bekanntermaßen leidet das Dampflokwerk Meiningen der DB schon etliche Jahre unter Verknappung von Ressourcen und Kapazitäten, so dass die Auslieferung von Lokomotiven regelmäßig hinter den Wunschterminen liegt und Planungssicherheit damit kaum gewährleistet ist. Deshalb haben sich mehrere Betreiber eigene Möglichkeiten aufgebaut (z. B. die SDG in Oberwiesenthal) bzw. sind wie die HSB in Wernigerode gerade dabei, um zumindest bei Zwischenuntersuchungen selbst agieren zu können.
Mit Fristablauf der in Stettin gebauten Vulcan-Dampflok 53 Mh (99 4633) der RüBB stellte sich die PRESS Anfang 2019 die Frage, wo diese Maschine am besten aufgearbeitet werden könnte, wobei aufgrund des zu erwartenden Arbeitsumfanges darüber Klarheit bestand, dass dies in der eigenen Werkstatt auf Rügen nicht zu bewältigen ist und das Dampflokwerk in Thüringen keine Kapazität mit Terminzusicherung bereitstellen konnte. Nach zahlreichen vorbereitenden Gesprächen entschied die PRESS-Geschäftsführung, einen gänzlich neuen Weg der Lokuntersuchung zu gehen. Mit Hans-Thomas Reichelt als ehemaligem Eisenbahnbetriebsleiter der SDG und Werkstattverantwortlichen in Oberwiesenthal sowie aktuell als Inhaber der DRG Dampftechnik Reichelt GmbH stand ein ausgewiesener Fachmann für die technische Ausführung und das Gesamtprojektmanagement zur Verfügung.
Per Werkvertrag erhielt die DRG Dampftechnik Reichelt GmbH von der PRESS den Auftrag, sich um die Abwicklung der Hauptuntersuchung zu kümmern und notwendige Leistungen von Unterauftragnehmern in eigener Zuständigkeit einzubinden. Begleitet wurde das Projekt regelmäßig in Zwischenabnahmen durch die Fachleute der RüBB bzw. PRESS. Ende Februar 2019 traf die Lok im erzgebirgischen Olbernhau bei der Stahlbau Heimann GmbH ein, die als Subunternehmen für die Demontage, alle Stahlarbeiten sowie die Montage zuständig war. Nach dem Beginn der Demontage im April 2019, bei der alle Rohrleitungen und Anbauteile strukturiert mit Anhänge-Schildchen gekennzeichnet wurden, fand die gemeinsame Befundung der Hauptbaugruppen zusammen mit der RüBB statt. Die Kesseluntersuchung durch den Kesselprüfer führte zu dem (erwarteten) Ergebnis, dass umfangreiche Arbeiten an der Feuerbüchse auszuführen sind. Dazu wurde der Kessel zur Firma EWK Eisenbahn Werkstätten Krefeld GmbH gebracht.
Der Rahmenwasserkasten zeigte sich derart verbraucht, dass nur ein Neubau in Frage kam. Zum gleichen Ergebnis kam die Überprüfung der vier Achswellen, die jeweils Befunde in Höhe Nabenbund aufwiesen. Die Radkörper sollten dagegen an den Stellen unter Grenzmaß mit Auftragsschweißungen saniert werden. Eine daraufhin per 3D-Messtechnik FARO-Arm erfolgte Rahmenvollvermessung, deren Methodik durch Hans-Thomas Reichelt bereits an den 1’E 1’-Lokomotiven der Fichtelbergbahn aufgebaut wurde, ergab erhebliche Abweichungen an den Achslagerführungen. Daraufhin fertigte die BAF GmbH in Leubsdorf die Rahmengleitplatten aus hochverschleißfestem Stahl neu an. Danach erfolgte auf dem großen CNC-Bearbeitungszentrum die komplette Bearbeitung einschließlich der Zylinderanlageflächen in „einer Aufspannung“. Dies garantiert eine exakte Spurführung für die Radsätze sowie die Parallelität beider Zylinderachsen zum Fahrzeugrahmen. Beide Dampfzylinder wurden separat grundhaft saniert. Neben dem Bohren der Zylinder- und Schieberbuchsen erfolgte auch ein Fräsen der Anlageflächen.
Bei den Auftragsschweißungen an den Radkörpern stellte sich heraus, dass ein Radstern nicht reparaturfähig war, so dass ein Radkörper neu gegossen werden musste. Die Zeichnungserstellung für den Gussrohling sowie die Zusammenarbeit mit den Beteiligten in der Stahlgussbranche war absolutes „Neuland“.
Die mechanische Bearbeitung des Gussrohlings erfolgte bei der Firma OM Olbernhauer Maschinenfabrik GbR. Das Aufschrumpfen des Radreifens wurde in eigener Regie bei der Firma Heimann durchgeführt. Ebenfalls in eigener Regie wurden die Radsätze aus dem einen neuen Rad sowie den sanierten Rädern und den neuen Achswellen gepresst und auf einem CNC-Bohrwerk der Olbernhauer Partnerfirma Rößner & Harzer dann die Zapfenbohrungen exakt in Hub sowie Winkel hergestellt. Nachdem die neu angefertigten Zapfen eingepresst waren, wurden die Räder vermessen und mit neuen Achslagern bestückt. Nach Anlieferung des bearbeiteten Kessels aus Krefeld übernahm die Fa. Heimann die Stahlbauarbeiten und versah den Dampferzeuger mit einer neuen Rauchkammer sowie einem neuen Aschkasten. Danach konnte der Kessel auf den Rahmen – komplett fertiggestellt mit Zylindern und geschlossenem Rahmenwasserkasten – und dieser auf die Radsätze aufgesetzt werden, hinzu kamen ein neu angefertigter Kohlekasten mit ebenfalls neuer Führerhausrückwand.
Die Kesselwarmdruckprobe bestand die Lok am 31. Juli 2020, danach wurde sie mit teilweise neuen sowie den gut beschrifteten altbrauchbaren Anbauteilen komplettiert. Es versteht sich von selbst, dass alle Teile dabei eine gründliche Reinigung, überwiegend durch Sandstrahlen sowie Grundier- und Decklackfarbgebung erhalten hatten. Die äußeren und inneren Steuerungen der Dampfmaschine hatten markante Unstimmigkeiten bzw. Fehler; es erfolgte eine „Grundberichtigung“. Dazu wurden alle Längenmaße und Winkel der Steuerungsteile neu berechnet. Diese Neuberechnung kontrollierte Dr. Jörg Nickl aus Dresden mit einem eigenen Rechnerprogramm und bestätigte sie mit kleineren Ergänzungen bzw. Änderungen.
Den überwiegenden Teil der spanenden Bearbeitungen führte neben der bereits genannten Firma OM die ebenfalls in Olbernhau ansässige Firma Werzner und Eckel Maschinenbau aus. Auch Herr Werzner sen. hatte mit seinem riesigen Lagerbestand an alten und neuen Normteilen und deren sofortiger Verfügbarkeit einen großen Anteil bei den Partnerfirmen. Mangels Probefahrtmöglichkeiten in Olbernhau kam ein von der Firma Stahlbau Heimann speziell neu entwickelter Rollenprüfstand zum Einsatz, um bei Rollproben des Fahrzeuges mit Druckluft und auch eigenem Dampf des Dampferzeugers die Feineinstellungen vorzunehmen und das Triebwerk in einer Weise abzustimmen, die bei allen herkömmlichen Methoden so leicht nicht erreicht werden kann. Bis zum 22. August 2020 waren diese Einstell- und Erprobungsarbeiten abgeschlossen, so dass dann die finale Endmontage der noch fehlenden Teile beginnen konnte.
Am 14. September holte die PRESS die Lok per Tieflader von Olbernhau nach Steinbach. Auf der Preßnitztalbahn begannen die letzten Prüfarbeiten im realen Fahrzustand auf dem Gleis. Mit der Werkabnahme und Lastprobefahrt am 17. September durch den Auftraggeber kam die Aufarbeitung zum Abschluss. Am 23. September traf die hauptuntersuchte Lok auf der Insel Rügen ein, wo sie ein Tachometer und Zugfunk erhielt. Ihre technische Abnahmefahrt absolierte 53Mh am 1. Oktober.
Neben der Anleitung und Betreuung der beteiligten Dienstleister wirkte die Firma DRG Dampftechnik Reichelt durch einen Mitarbeiter tagtäglich vor Ort mit und stellte so das funktionale Zusammenspiel der Komponenten sicher. Sehr umfangreich war auch der konstruktive Aufwand für die Fertigungszeichnungen, da keine Originalzeichnungen verfügbar waren. Aufgrund des hohen Umfanges an Neufertigungen für die 53 Mh ist auch der Gesamtzeitbedarf – ebenso unter Berücksichtigung der Corona-bedingten Verzögerungen im Ablauf – nachvollziehbar und akzeptabel. Im Vergleich zu HU von Fahrzeugen im Dampflokwerk Meiningen war für dieses Projekt ein erheblich geringerer Betreuungsaufwand durch den Auftraggeber erforderlich, so dass weitere Projekte dieser Art mit Sicherheit folgen werden.
Epilog: Die DRG Dampftechnik Reichelt GmbH dankt vor allem den Olbernhauer Handwerkern und Firmen, speziell den Mitarbeitern der Stahlbau Heimann GmbH, für die Qualitätsarbeit und gute Kooperation. Insbesondere trug Firmenchef Norbert Heimann mit seiner stets lösungsorientierten Herangehensweise wesentlich zum Gelingen des Projektes bei.
11.10.2020