Fahrzeuge im Porträt
Pollo-Museumswagen 970-855 im Porträt (Teil 2)
Anfang Mai 2013 wird der Verein „Prignitzer Kleinbahnmuseum Lindenberg e.V.“ (PKLM) einen aus Sachsen stammenden vierachsigen Personenwagen mit Oberlicht als Museumsfahrzeug in Betrieb nehmen. In den vergangenen Monaten war über diesen als 970-855 geführten Wagen schon mehrfach im PK kurz berichtet worden. Teil 1 dieses Porträts stellte den Fahrzeugtyp im Allgemeinen sowie die Geschichte des 970-855 Erstbesetzung vor. Vorliegender Teil 2 widmet sich nun dem Museumswagen:
Der Wagen 970-855 Zweitbesetzung
Da der in Wahrenberg noch vorhandene Kasten von 970-856 für eine Reaktivierung ungeeignet erschien, nahmen die Mitglieder des PKLM von seiner Bergung Abstand. Als sich 2005 die Auflösung des ehemaligen Ferienlagers des Reichsbahnamtes (Rba) Bautzen hinter dem Putbuser Bahnhof andeutete (siehe PK 107 und 108 von 2009), meldete der Pollo-Verein sein Interesse an einem der zwei zu diesem Zeitpunkt noch dort vorhandenen Oberlichtwagen an. Letztendlich erhielten die Eisenbahnfreunde aus der Prignitz den Zuschlag für den Kasten von 970-775. Dieser Wagen war nur zwei Exemplare vor dem späteren 970-855 ebenfalls im Jahre 1899 in den Eigenen Werkstätten der K.Sächs.Sts.E.B. entstanden. Die Generaldirektion stellte ihn als K.288 in Dienst, im Jahr 1900 wechselte das K hinter die Betriebsnummer. Vor 1914 erhielt er im kleineren Abteil anstelle der 2.-Klasse-Bestuhlung neue Bänke 3. Klasse. Danach führten die K.Sächs.Sts.E.B. diesen Vierachser nicht mehr unter der lfd. Nr. 716 als BCC, sondern als CC entsprechend unter der lfd. Nr. 715. Die junge RBD Dresden wies dem Wagen 1922 der 4. Klasse zu, wodurch er 1927 von der DRG die Nummer „Dresden K1279“ erhielt, aber 1928 erneut der 3. Klasse zugeordnet wurde.
1944 ist der seit 1938 als „1279 Dre“ geführte Wagen in Mügeln nachgewiesen. Von dort gelangte er im März 1950 – kurz zuvor in 7.1279 umgezeichnet – zur RBD Greifswald auf die Insel Rügen, wo er 1958 die neue Betriebsnummer 970-775 erhielt, mit welcher er bis zum 12. Juni 1967 zum Betriebsbestand zählte. An diesem Tag ausgemustert, wurde der Wagenkasten später in Putbus in das ab April 1968 aufgebaute Ferienlager der Betriebsberufsschule (BBS) Schirgiswalde des Rba Bautzen integriert. 1995 überließ der Landkreis Rügen als Verwalter des Geländes die ungewöhnlichen „Gebäude“ – bestehend aus acht Schmalspurwagenkästen – dem Förderverein für die RüKB e.V. Dieser löste die Sammlung zwischen 2001 und 2009 auf. Als erstes kam der Kasten des Oberlichtwagens 970-751 nach Sachsen. Durch die IG Preßnitztalbahn e.V. mit Unterstützung der Stellmacherei Michel in Zwönitz betriebsfähig aufgearbeitet, ist dieser blechverkleidete Oberlichtwagen inzwischen schon mehrfach in der Prignitz zu Gast gewesen. Der Pollo-Verein übernahm hingegen im Februar 2006 in Putbus den Kasten von 970-775. Recht schnell war klar, dass er die idealen Voraussetzungen dafür bot, den 970-855 in Zweitbesetzung wiederauferstehen zu lassen. Die erneute Vergabe einer Betriebsnummer wird oft damit gekennzeichnet, dass man hinter die Betriebsnummer eine hochgesetzte römische Zwei hängt, was im Preß’-Kurier durch zwei Striche hinter der Wagennummer zum Ausdruck gebracht wird – deshalb also 970-855”.
Der Museumswagen entsteht
Die betriebsfähige Aufarbeitung von 970-855´´ begann beim Brücke e.V. in Blankenburg (Harz). Nachdem dort die Tätigkeiten an Objekten von Eigentümern mit Sitz außerhalb Sachsen-Anhalts im Jahr 2010 eingestellt werden mussten, fand der Pollo-Verein in der Tischlerei Veikko Hübner in Zwönitz ein Unternehmen, welches zur Erneuerung des hölzernen Aufbaus in der Lage ist. Am 29. September 2011 traf der angearbeitete 970-775 im Erzgebirge ein. Im großen Saal an der Von-Otto-Straße 10a in Zwönitz entstand anschließend Stück für Stück ein fast neuer Wagenkasten – nur wenige Teile des „Materialspenders“ kamen erneut zum Einbau. Die Aufarbeitung des Fahrzeugrahmens setzten Mitarbeiter der Pressnitztalbahn GmbH in Jöhstadt fort. Dabei galt es, Bereiche der Bühnen zu erneuern, den Anbau einer Saugluftbremse und einer Druckluftleitung vorzubereiten sowie von der RüKB stammende Drehgestelle anzupassen. Neu zu fertigen waren u. a. viele Teile für die Zug- und Stoßvorrichtung, waren doch die Balancierkupplungen in Putbus vor der Aufstellung im Ferienlager entfernt worden. Anfang Mai 2012 transportierte der Tieflader der PRESS GmbH den in der Zwönitzer Stellmacherei fertiggestellten Wagenkasten nach Jöhstadt, wo er am 4. Mai im Beisein des PKML-Vorstandes auf das vorbereitete Untergestell gesetzt wurde. Danach konnte die Montage der Bühnenbleche und vorbereiteter Anbauteile wie Fenster einschließlich Riemen beginnen. Exakt nach Vorbild von 970-855´ verfügt der Museumswagen wieder über verschlossene Oberlichtfenster und Dachlüfter der Bauart Growe. Ein Mitglied der IG Wagen brachte schließlich im Herbst 2012 in der Ausstellungs- und Fahrzeughalle in Jöhstadt die Außenbeschriftung an. Seitdem prangen das korrekte „DR“, die Wagennummer 970-855 sowie alle anderen Anschriften an dem neuen Fahrzeug des Pollo-Vereins.
Am 13. November 2012 war es dann soweit: Der Vierachser traf per Tieflader in der Prignitz ein. Seitdem läuft in Mesendorf der Innenausbau des Wagens.
Nach Vorbild des letzten Einsatzzustandes von 970-855´ erhält er Sitzgestühl 3. Klasse, das kleinere Abteil ist dabei für Traglasten geeignet. Wie das Original verfügt 970-855´´ über zwei Kanonenöfen, um auch im Winterhalbjahr genutzt werden zu können. Diese Öfen stammen aus Wahrenberg, wo sie im Schwesterwagen 970-856 erhalten geblieben waren. Außerdem haben die Vereinsmitglieder des PKML bereits Gepäcknetze und zahlreiche Hinweisschilder wie „Nichtraucher“ oder „Bitte nicht hinauslehnen“ angebracht. Im Februar/März dieses Jahres fanden die Installation der Elektrik und der Einbau der Beleuchtung statt.
Die bahnamtliche Abschlussuntersuchung ist für April dieses Jahres anberaumt. Anlässlich des Jubiläums „20 Jahre Prignitzer Kleinbahnmuseum Lindenberg e.V.“ wird der Wagen anschließend in der ersten Maiwoche 2013 erstmals einer breiten Öffentlichkeit im Einsatz vorgestellt. Sowohl die Fahrgäste als auch die Museumsbahner des PKML können diesen Moment schon heute kaum erwarten, wenn erstmals seit 1969 ein vierachsiger Oberlichtwagen mit korrekter Nummer der Rbd Schwerin und der Aufschrift „Heimatbahnhof Perleberg“ an den Langträgern zwischen Lindenberg und Mesendorf wieder unterwegs sein wird …
Andere erhaltene Oberlichtwagen
Neben dem 970-855” in der Prignitz sind aktuell insgesamt fünf andere Oberlichtwagen museal erhalten, davon vier betriebsfähig:
- 970-302 als 286K in Radebeul
- 970-309 als 325K in Radebeul
- 970-316 als 343K in Radebeul
- 970-751 in Jöhstadt
- 979-003 als „Dresden K1297“ in Rittersgrün abgestellt In einem äußerst schlechten Zustand existieren aber auch noch zwei sächsische Oberlichtwagen im Depot des polnischen Schmalspurbahnmuseums in Sochaczew bei Warschau. Ihre genaue Identität ist bisher noch ungeklärt. Für eine spätere Aufarbeitung sind in Deutschland die Kästen von 970-201 in Prora sowie von 970-764 der IG Preßnitztalbahn e.V. in Espenhain hinterstellt. Noch seiner Bergung harrt auf Rügen der Kasten des völlig umgebauten 970-774. Ob sich für den Kasten von 970-856 in Wahrenberg noch einmal ein Interessent findet, erscheint Kennern der Szene eher unwahrscheinlich. Auf dem Rahmen von 970-204 entstand bei der Museumsfeldbahn in Leipzig-Lindenau in den 1990er Jahren ein offener Aussichtswagen, der seitdem auf Drehgestellen mit 800 mm Spurweite zum Einsatz kommt. Beim Interessenverband der Zittauer Schmalspurbahnen e.V. ist in Bertsdorf der Rahmen von 970-303 aus Naundorf bei Mügeln vorhanden. Auf diesen wieder einen Oberlichtwagenkasten zu setzen, gehört zu den langfristigen Zielen des Vereins in der Oberlausitz. Dies zeigt, dass es auch in Sachsen unverändert interessante Betätigungsfelder für nachwachsende Eisenbahnfreunde und potente Geldgeber gibt … André Marks
07.04.2013