Eisenbahn-Geschichte
Die Laaser Marmorbahn
Nach dem Artikel über die Schmalspurbahn auf dem Ritten im Preß’-Kurier 5/12 (Heft 128) soll hier eine Beschreibung der am Schluss des Beitrages erwähnten Anlage der Laaser Marmorbahn folgen. „Anlage“ deshalb, da es sich hierbei nicht nur um eine Schmalspurbahn von A nach B handelt, sondern um ein hochinteressantes Transportsystem, bestehend aus vier zusammengehörigen Segmenten. Nicht nur Freunde sächsischer Technik kommen hier in Südtirol ins Staunen.
Auf dem Weg vom Reschenpass nach Meran im Vinschgau liegt die Gemeinde Laas. Umgeben von einer grandiosen Bergwelt, leben in Laas und seinen sechs Teilorten knapp 4000 Menschen. Berühmt wurde Laas durch den hier abgebauten Marmor. Allgegenwärtig ist das weiße Gestein – ob als Denkmal, in der Kirche, auf dem Friedhof oder als Pflasterstein auf Gehwegen und dem Bahnsteig. Weltweit gefragt ist der Laaser Marmor wegen seiner Reinheit, Härte und Wetterbeständigkeit. Für Steinmetze und Architekten ist er bevorzugtes Material. Zeugnisse finden sich in Berlin, München, Wien, London, New York, Abu Dhabi, Singapur oder Manila. Bevor der Stein den Weg in die weite Welt antreten konnte, musste er in Laas einen Höhenunterschied von ca. 585 m überwinden – seit 1930 mit in Leipzig ersonnener Technologie.
Sächsische Technik in den Alpen
1883 begann der ehemalige Bauernjunge Josef Lechner mit dem Abbau des wertvollen Gesteins. Mit Hilfe von Ochsen und Pferden brachten die Männer die tonnenschweren Blöcke auf Schleifbäumen und Schlitten ins Tal. 1930 kam dann die große Wende in der Transporttechnologie des Laaser Marmors. Die heute als „Meisterwerk der Technik“ apostrophierte Anlage aus Lasten-Seilbahn (Kabelkran), oberer Schmalspurbahn, Standseilbahn (Schrägbahn) und unterer Schmalspurbahn ging in Betrieb. Zusammen mit örtlichen Ingenieuren wurde sie von der „Adolf Bleichert & Co. A.G., Fabrik für Drahtseilbahnanlagen, Leipzig-Gohlis“ konzipiert. Von 1930 bis 2011 auf und ab. Zuverlässig war der von Bleichert in Leipzig gebaute Kabelkran an der fast senkrechten Weißwasserwand mit seiner schweren Last unterwegs. An der „Aufleg“ wird der Marmor vom Kabelkran auf vier Plattformwagen abgesenkt. Danach beginnt die Bahnfahrt auf dem 1000-mm-Gleis. Bleichert war damals bekannt für z. T. verwegene Transportsysteme und galt zeitweise weltweit als der bedeutendste Lieferant von Seilbahnen.
Der Kabelkran
Der Laaser Marmor wird im Weißwasserbruch in einer Höhe von 1553 m untertage abgebaut. Etwa 600 m ist man in den Berg eingedrungen. 24 Stunden täglich werden Blöcke mit Diamantsägen aus dem Berg gelöst. Per Radlader wird die Fracht ans Tageslicht gebracht. Nach dem Vermessen und Protokollieren wird die Last von einer 12,5 t tragenden Seilbahn mit Kran (Kabelkran) aufgenommen und am 475 m langen Tragseil 175 m tiefer auf die gegenüberliegende Seite des Laaser Tals gebracht. Dort befand sich bis Juli 2011 die Ladestelle der oberen Schmalspurbahn. Auch diverse Materialien und Ersatzteile transportiert der Kabelkran.
Die obere Schmalspurbahn
An der Ladestelle („Aufleg“) hatte die schwebende Last ihre Fahrt vorerst beendet. Nachdem der Kabelkran mit dem Stromnetz verbunden war, senkte er den Marmorblock auf einen der darunter bereitgestellten Plattformwagen (meistens vier Stück). Das Personal der oberen Meterspurbahn hängte das Elektrokabel und die beiden Lasten-Tragseile wieder an der Seilbahn ein und meldete dies per Kurbeltelefon oben im Bruch. Danach fuhr der Kabelkran nach oben, um den nächsten Block zu holen. Derweil wurde bzw. wird der Zug um eine halbe oder eine ganze Wagenlänge weitergezogen – je nach Größe der Marmorblöcke. Sind die vier handgebremsten Plattformwagen beladen, fuhr der Zug in geringem Gefälle 1800 m am bewaldeten Hang entlang zur Bergstation der Schrägbahn. Ca. 200 m vorher wurde die Fahrt unterbrochen, um zwei Wagen abzukuppeln. Das letzte Stück liegt in einer leichten Steigung. Die Maschine lieferte 1930 Tecnomasio Italiano Brown Boveri Milano. Sie wird von zwei 12 kW starken Elektromotoren angetrieben. Den Strom bezieht sie von einem Dieselgenerator. Von 1937 bis 1993 kam die Energie aus einer 320-V-Oberleitung, davor aus Akkus. Die vierachsigen Plattformwagen baute 1929 Carminati & Toselli Milano.
Am Ende der Strecke (kurz vor dem Lokschuppen) werden die beiden Wagen über eine Weiche auf ein zur Schrägbahn führendes Nachbargleis (ebenfalls in der Steigung bzw. Gefälle liegend) gedrückt und getrennt. Von dort können sie allein durch die Schwerkraft auf den Wagen der Schrägbahn rollen. Dann werden die beiden zurückgelassenen Wagen nachgeholt. Außer dem Lokschuppen ist hier oben noch ein Werkzeugmagazin zu finden. Seit November 2012 hat sich am Betrieb der oberen Bahn einiges geändert. Seitdem ist ein neuer Kabelkran aus Südtiroler Produktion mit höherer Nutzlast in Betrieb. Die Marmorblöcke werden nun mittels Verbrennungsmotor gehoben und gesenkt. Den Vergleich mit seinem Vorgänger muss er aber noch bestehen. Dieser neue Kabelkran ist mit längerem Tragseil in verändertem Winkel verlegt. Somit bleiben der oberen Schmalspurbahn nur noch ca. 500 m Strecke. Die ehemalige Ladestelle ist verwaist.
Die Schrägbahn
Der Betrieb der Schrägbahn ist unverändert geblieben. Ihre Bergstation am Nördersberg ist gewissermaßen das Herz der ganzen Anlage. Hier auf 1355 m Höhe enden die oberen Züge und befindet sich auch das Maschinenhaus mit der Antriebsanlage für die Schrägbahn, deren Leistung mit 260 PS angegeben wird. Vom Deckenträger springt dem Eintretenden ein überdimensionaler Bleichert-Schriftzug ins Auge: Durchmesser 6 m, Breite 4,20 m, belegt mit 5,5 t Holz, darin eine 1 km lange Spiralrille. Die Rille nimmt 3,5 Windungen des Antriebsseils der Schrägbahn auf, die Breite der Trommel ergibt sich aus der Länge der Standseilbahn. Sie überwindet eine Distanz von 950 m und einen Höhenunterschied von 474 m.
Ähnlich der Güterbühne der Oberweißbacher Bergbahn sind die achträdrigen Wagen der Laaser Schrägbahn keilförmig konstruiert. Anders als in Thüringen werden hier aber die zu befördernden Plattformwagen im 90°-Winkel zur Fahrtrichtung der Schrägbahn aufgerollt. Pro Wagen sind zwei 8 m lange Gleise montiert, entsprechend breit sind die Wagen der Schrägbahn. Aus Sicherheitsgründen wird heute nur noch das bergseitige Gleis genutzt. Die enorme Wagenbreite erfordert einen Schienenabstand der Schrägbahn von 2600 mm. Entsprechend weit ist auch der Abstand der beiden Gleise an der Ausweiche nach System Abt. Die Wagen finden ihren Weg durch die außenliegenden Räder mit zwei Spurkränzen. An der Ausweiche steigen die Männer auf den jeweils anderen Wagen um. Der bis zur Hälfte der Strecke mit dem leeren Wagen heraufgekommene besteigt jetzt den zu Tal fahrenden beladenen Wagen, um ihn dort mit der „Tal-Lok“ in das Marmorwerk zu ziehen. Die Strecke der Schrägbahn verläuft nicht gerade, in konkaven Abschnitten hebt sich das Zugseil über einen halben Meter. Nach exakt 14 Minuten hat die wertvolle Fracht den Talboden erreicht.
Früher brachte die Schrägbahn auch täglich bis zu 300 Schichtarbeiter aus dem Tal herauf. Damit sie rund um die Uhr betrieben werden konnte, wohnten im Obergeschoss des Maschinenhauses zwei Maschinisten mit ihren Familien. Sogar ein Kind wurde dort oben geboren.
Die untere Schmalspurbahn
Die untere Bahn als letzter Teil des einzigartigen Transportsystems befördert die mit der Schrägbahn vom Berg herabgekommenen Marmorblöcke in das 800 m entfernte und auf 868 m Höhe liegende Werk, die Lasa Marmo. Die Lokomotive ist identisch zur oberen Maschine. Am Fuße der Schrägbahn erwartet sie den in eine Grube eintauchenden Wagen der Schrägbahn. Nachdem die Fixierung des Schmalspurwagens gelöst ist, kann die Lok ankuppeln und den Wagen niveaugleich wegziehen. In einem Halbkreis steuert das Gespann auf die Strecke zum Werk, das quasi die geradlinige Verlängerung der Schrägbahn darstellt. Durch Wiesen, über eine Stahlgitterbrücke über die Etsch sowie nach einem Straßenübergang ist bald das Werk erreicht. Ein Portalkran lagert den Block unter weiteren tausend. Irgendwann wird er verarbeitet.
Der historisch interessierte Eisenbahn- und Technikfreund darf hoffen, dass das faszinierende, umweltfreundliche Gesamtensemble nicht weiter gestutzt wird, denn schon öfter stand der Fortbestand der Anlage zur Diskussion.
Quellen
Hubert Tscholl „Die Laaser Marmorbahn“, Innsbruck 2009, sowie Gespräche des Autors vor Ort
07.04.2013