Reisebericht
Die elektrische Schmalspurbahn auf dem Ritten
Im Norden Italiens liegt Südtirol, welches bis 1918 zu Österreich gehörte und seit 1973 einen weitgehenden Autonomiestatus unter den italienischen Provinzen besitzt. Die Hauptstadt der Provinz Südtirol ist Bozen, außer ein Industrie- und Messestandort auch ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt. Durch die Lage im Tal sind die Sommer in der Stadt oft drückend heiß. Deswegen hat der Bozener Hausberg, der Ritten, schon lange eine wichtige Rolle in der Sommerfrische der „Städter“ inne. Beim Ritten handelt es sich um ein Hochplateau in ca. 1000 Meter Höhe über dem Meeresspiegel, welches für besonders viele Sonnentage und ein angenehmes Klima bekannt geworden ist. Die Rittnerbahn entstand aus dem Gedanken heraus, die Fahrt in die Sommerfrische zu vereinfachen und den beschwerlichen Aufstieg zu verkürzen.
Eine Fahrt mit dem „Bahnl“
Wenn wir heute eine Fahrt mit dem „Bahnl“ von Bozen aus unternehmen wollen, müssen wir dazu vom Stadtzentrum mit dem Waltherplatz zunächst ca. einen Kilometer zu Fuß gehen, um zur Talstation der Rittner Seilbahn zu gelangen. Bis 1966 nahm die Rittnerbahn ihren Ausgangspunkt im Stadtzentrum Bozens, passierte den Bahnhof und folgte dann der Rittenstraße. Hier begann nun eine Zahnradstrecke, denn alleine mit Adhäsionsbetrieb wäre die 25-%-Steigung nicht zu bewältigen gewesen. Über vier Kilometer lang wand sich die Trasse nun den Hang hinauf, dabei teilweise auf einem Damm aus Naturstein oder Viadukten, aber auch durch einen Tunnel verlaufend. Im Örtchen Maria Himmelfahrt war das Ritten-Plateau erreicht, die Zahnradlok kuppelte vom Zug ab und der Triebwagen legte die noch heute bestehende, 6,6 km lange Strecke bis nach Klobenstein allein zurück. Doch auch in Maria Himmelfahrt können wir unsere heutige gedankliche Reise noch nicht beginnen, denn die 1966 eröffnete und 2009 neu gebaute Seilbahn aus Bozen endet nach zwölf Minuten Fahrzeit in Oberbozen. Zwischendurch hat man einen weiten Blick über das Land und natürlich auch über Bozen. Wer ganz genau hinschaut, entdeckt auch Reste der alten Zahnradbahntrasse. In Oberbozen können wir nun endlich direkt in einen Triebwagen der Rittnerbahn einsteigen. Alle halbe Stunde ist ein Zug unterwegs und bringt insbesondere Urlauber und Wanderer an ihr Ziel. Dennoch ist die Rittnerbahn keine Nostalgiebahn und schon gar keine Straßenbahn, obwohl oftmals von der Trambahn auf dem Ritten die Rede ist. Der Zug setzt sich in Bewegung und passiert zunächst die zweiständige Remise, in der die beiden ältesten Triebwagen abgestellt sind. Danach wendet er sich dann nach links. Bereits nach wenigen Augenblicken haben wir auf der rechten Seite wieder einen Panoramaausblick auf die Dolomiten. Nachdem die Ortsstraße schrankengesichert gekreuzt wurde, erreichen wir nach nur gut einem halben Kilometer die Haltestelle Linzbach. Sich nunmehr in einem Waldstück in engen Bögen windend, gewinnt die Strecke kontinuierlich an Höhe. Links der Strecke liegen einzelne Häuser und als nächstes wird die Haltestelle Rinner passiert. Der Schaffner führt die Fahrkartenkontrolle durch und hält noch einen kleinen Plausch mit den Stammfahrgästen. Jetzt windet sich die Trasse bald in einem engen Linksbogen aus dem Wald heraus. Rechts ergibt sich nun ein umfassendes Panorama, das bis zu den stets schneebedeckten Gipfeln der Alpen reicht. Etwas weiter unterhalb befindet sich der Ort Wolfsgruben, dessen Haltestelle wir nun erreicht haben. Die hölzerne Wartehalle fügt sich nahtlos in die Umgebung ein. Nach einem kurzen Aufenthalt geht es schon weiter, nach einem Bahnübergang wird wiederum ein enger Bogen durchfahren, bevor die Strecke erneut in den Wald hineinführt. Auf einer Lichtung etwas unterhalb der Siedlung liegt idyllisch der Bahnhof Lichtenstern. Seit der Einführung des Halbstundentaktes finden hier die Regelzugkreuzungen statt. Zu diesem Zwecke ist der Bahnhof mit zwei Rückfallweichen ausgestattet. Nachdem der Gegenzug eingefahren ist, wechseln beide Triebwagenfahrer ihr Fahrzeug und kehren zum jeweiligen Ausgangsbahnhof zurück. Nach der Abfahrt passieren wir linkerhand eine Wiese, um nach einem Gleisbogen die Haltestelle Rappersbühl zu erreichen. Hier beginnen zahlreiche Wanderwege in die Umgebung, außerdem gibt der Wald für einen kurzen Augenblick die Sicht auf Bozen frei. Weiter am Hang geht es nun stets am Waldesrand entlang und wir durchfahren ohne Halt die Haltestelle Ebenhof. Hinter dieser Station ist rechts in Fahrtrichtung wieder das volle Panorama der Dolomiten zu sehen, deren oft wolkenverhangene Gipfel Höhen von über 3000 m erreichen. Die Haltestelle Weidach passieren wir ebenfalls ohne Aufenthalt und bis Klobenstein ist es nur noch ein kurzes Stück. Vorbei geht es an Ferienquartieren und Bauernhöfen, bis wir eine Brücke unterqueren, hinter der sich der Endbahnhof der Rittnerbahn anschließt. Ein Umfahrungsgleis sowie eine zweiständige Remise bilden die betriebstechnischen Anlagen des Bahnhofs Klobenstein. Auch hier beginnen einige Wanderwege, eine Bar lädt zur Rast ein und auf dem Bahnhofsvorplatz kann man in den Bus zur Talstation der Rittnerhorn-Seilbahn umsteigen. Von Oberbozen bis Klobenstein haben wir mit dem Zug 18 Minuten benötigt, in ca. einer Stunde kann man diese Distanz auch bequem erwandern.
Geschichte der Rittnerbahn
Bis zur Rückfahrt widmen wir uns nun der Geschichte der Rittnerbahn: 1907 als bequeme und schnelle Verbindung für Sommerfrischler und Einheimische eröffnet, gab es bis 1966 einen gemischten Betrieb von Adhäsions- und Zahnradbahn. Dazu muß erwähnt werden, daß der Ritten bis in die sechziger Jahre hinein nicht mit dem Auto erreichbar war, der gesamte Verkehr also durch die Schmalspurbahn abgewickelt werden mußte. Im Stadtgebiet Bozens teilte sich die meterspurige Eisenbahn die Gleise mit der Bozener Straßenbahn, die aber bereits 1948 eingestellt wurde. Nachdem Instandhaltung und Wartung der Betriebsmittel nach dem Zweiten Weltkrieg aus Geldmangel immer weiter zurückgefahren wurden, passierte 1964 das Unvermeidliche: Einem Zug auf der Zahnradstrecke versagten die Bremsen und er rollte ungebremst ins Tal. Vier Todesopfer und zahlreiche Verletzte waren zu beklagen. Die Betriebseinstellung war nach diesem Unfall beschlossene Sache. Die Zahnradbahn wurde durch eine Seilbahn mit Großkabinen ersetzt, die ihrerseits die längste Seilbahn Europas war. Die Adhäsionsstrecke der Lokalbahn blieb in Betrieb, ungefähr stündlich versahen die Triebwagen ihren Dienst. Doch nach 40 Jahren zeigten sich mehr und mehr technische Gebrechen der Seilbahnanlage, so daß der Abriß der alten Rittner Seilbahn zugunsten eines völligen Neubaus geplant und schließlich durchgeführt wurde. Nun sind auf einer Umlaufseilbahn acht Kabinen à 35 Personen unterwegs, die etwa alle vier Minuten verkehren. Das neue Betriebskonzept der Seilbahn machte auch eine Fahrplanänderung bei der Rittnerbahn erforderlich, denn künftig erreichten fortwährend neue Fahrgäste Oberbozen, während die alte Seilbahn nur zwei Abfahrten in der Stunde hatte. Aufgrund dessen ist der Takt der Strecke auf 30 Minuten verkürzt worden. Die Betriebsanlagen und insbesondere die Stationen wurden zudem geringfügig modernisiert, ohne jedoch allzu sehr in das stimmige Gesamtbild der Strecke einzugreifen. Überall stehen noch die hölzernen Fahrleitungsmasten mit den charakteristisch gebogenen Auslegern. Die Taktverdichtung bei der Rittnerbahn kam gut an: An schönen Wochenenden ist die Bahn trotz des Einsatzes von zweiteiligen Zugeinheiten regelmäßig voll besetzt. Im Jahre 2009 konnten von der Trogenerbahn in der Schweiz zwei Triebzüge, bestehend aus Trieb- und Steuerwagen, gekauft werden. Diese versehen nun in einer schmucken dunkelrot-grauen Farbgebung den Plandienst. Dadurch konnten die bis dato immer noch regelmäßig eingesetzten Triebwagen mit hölzernem Aufbau aus dem frühen 20. Jahrhundert ersetzt werden. Doch verzichten muß man auf den Fahrkomfort der alten Zeit nicht: Täglich wird in den Vormittagsstunden einer der Plantriebwagen durch einen der vier älteren Triebwagen ersetzt. Am bekanntesten ist sicher der „Alioth“ von 1902, benannt nach dem Hersteller seiner elektrischen Ausrüstung. Er kommt seit 1934 auf der Rittnerbahn zum Einsatz, nachdem seine Stammstrecke, die Nonsbergbahn, eingestellt wurde. Außerdem befinden sich noch zwei zweiachsige Triebwagen aus den Anfangsjahren der Schmalspurbahn im Bestand. Und nicht zu vergessen ist ein straßenbahnähnlicher Triebwagen der Überlandstraßenbahn Esslingen – Nellingen – Denkendorf (END), der bis zum Eintreffen der Triebwagen aus der Schweiz den Plandienst versah. Der Verein „Tiroler Museumsbahnen“ (TMB) mit Sitz in Innsbruck verfügt in seiner Sammlung sogar noch über eine Zahnradlokomotive (Lok 4 der Rittnerbahn). Nachdem wir die Rittnerbahn nun ausgiebig „erfahren“ haben, wollen wir zurück nach Bozen. Doch die Talfahrt mit der Seilbahn verzögert sich für uns noch ein wenig, denn wie wir feststellen, ist unser Zug eine der sechs täglichen Verbindungen, die bis Maria Himmelfahrt fahren. Diese Gelegenheit nutzen wir natürlich. Und so fährt der nun schwach besetzte Zug von Oberbozen, unterhalb des eigentlichen Dorfes, weiter stetig abwärts, kreuzt die Himmelfahrter Straße und windet sich dann noch einmal kurz in einem Bogen. Nachdem die ersten Häuser der Ortschaft Maria Himmelfahrt erreicht sind, queren wir erneut eine Straße und befinden uns nach drei Minuten Fahrt schon an der jetzigen Endstation. Hier finden wir einen kleinen hölzernen Schuppen, eine Wartehalle sowie ein Abstellgleis vor. Auch hier gibt es einen reizvollen Ausblick, nämlich zurück auf das quirlige Oberbozen mit der Seilbahnstation und hinab ins Tal. Den Weg zur Seilbahnstation kann man entweder zu Fuß zurücklegen – oder aber man bleibt gleich im Wagen sitzen, der nach einem kurzen Aufenthalt zurückfährt. Während der Talfahrt mit der Seilbahn schweifen die Blicke dann noch einmal auf Maria Himmelfahrt und die kleine Station des Ortes. Ein Besuch der Rittnerbahn lohnt sich immer – schließlich handelt es sich um die letzte Schmalspurbahn Südtirols mit Personenverkehr, und durch die grandiosen Ausblicke auf die Dolomiten sowie ihre Lage auf einem Hochplateau hat die Bahn ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Wo sonst lassen sich Wanderurlaub, Stadtbummel, Schmalspurbahn und Genuß auf so engem Raum finden?
Praktisches
Wer Urlaub in Südtirol macht, sollte auf das Angebot der Mobilcard zurückgreifen: Für nur 28 € ist man sieben Tage (drei Tage: 23 €) in allen öffentlichen Verkehrsmitteln des Südtiroler Verkehrsverbundes unterwegs. Manche Unterkünfte auf dem Ritten bieten ihren Gästen auch die kostenlose RittenCard – sie gilt ebenfalls in ganz Südtirol und zusätzlich auch auf der Seilbahn zum Rittnerhorn. Für nur wenig mehr Geld kann man mit der „museumobil Card“ zusätzlich über 80 Museen in Südtirol besuchen. Nicht nur der Ritten läßt sich so erleben, sondern auch die Standseilbahn auf den Mendelpaß und die Vinschgerbahn nach Mals. Im Dorf Laas an der Strecke befindet sich für Schmalspurbahnfreunde eine Besonderheit – die meterspurige Laaser Marmorbahn. Mittels zweier Flachstrecken und einer Standseilbahn werden so Marmorblöcke aus dem Steinbruch oberhalb des Dorfes zur Betriebsstätte gebracht. Die gesamte Anlage ist aus dem Jahre 1930 und hat sich seitdem (noch) nicht wesentlich verändert. Wer die Anlage besuchen möchte, sollte dies zwischen Montag und Freitag tun. Auch im Endbahnhof Mals gibt es etwas zu entdecken: Neben Natur und Bergpanoramen findet sich, wenn auch nicht mehr benutzt und etwas verwahrlost, ein Wendestern zum Umsetzen von Dampflokomotiven ohne Drehscheibe.
08.10.2012