Rettet die Bahnzeit!
Zuschaueraktion läuft weiter!
Seit dem Start der Internetseite „www.rettet-die-bahnzeit.de“ am 14. Januar 2010 haben sich bis Anfang April bereits über 3800 Menschen mit ihre Stimme und sehr oft auch einem fundierten Kommentar gegen die Entscheidung des Mitteldeutschen Rundfunks gewandt, die beliebte Sendereihe „MDR-Bahnzeit“ einzustellen. Am 11. Dezember 2009 hatte der Fernsehsender im Abspann der 99. Sendung lapidar mitgeteilt, daß dies die letzte Folge der seit Januar 2001 in monatlicher Sequenz ausgestrahlten halbstündigen Produktion sei. Dagegen hatte sich unmittelbarer unkoordinierter Widerspruch geregt, rund 350 Protestbekundungen sollen schon bis Anfang Januar in Leipzig eingegangen sein.
Durch die Chefredakteure von „Preß´-Kurier“ und „Dampfbahn-Magazin“ wurde die Aktion gestartet, um diesem Protest eine gemeinsame Plattform zu bieten, Unentschlossenen die Breite des Protests vor Augen zu führen und insbesondere dem MDR mit klaren Argumenten aufzuzeigen, daß die getroffene Entscheidung falsch war.
Eine mindestens gleich große Postlawine wie mit der Online-Unterschriftenliste ist auf dem Schreibtisch des Intendanten gelandet – egal ob vorbereitete Protestpostkarten oder teils umfangreiche persönlich formulierte Briefe. Wie aus „gut unterrichteten Kreisen“ zu vernehmen war, hat dies für erheblichen Wirbel in der Zentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt der Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gesorgt.
Was hat sich bisher getan?
Zunächst wurde durch die MDR-Zuschauerredaktion mit Standardformulierungen auf Briefe und E-Mails reagiert (siehe Beitrag im PK 112). Keine Antwort des MDR enthielt bisher eine konkrete Reaktion auf vorgetragene Argumente. Selbst auf das Schreiben von Helge Scholz und Jörg Müller an den Intendanten schickte in dessen Auftrag der MDR-Chefredakteur Wolfgang Kenntemich eine Antwort, die sich bis auf Anschrift und Unterschrift in keiner Silbe von den Schreiben der Zuschauerredaktion unterschied. Peinlich für ein Medienunternehmen, kann man da nur konstatieren.
In einem noch einmal mit Fakten versehenem Antwortbrief an den Intendanten, Prof. Udo Reiter, und den Chefredakteur wurde von den beiden Initiatoren um eine Prüfung der Absetzung der Bahnzeit gebeten. Als Reaktion darauf ging ein Brief des MDR-Unternehmenssprechers ein, der wiederum keine Beantwortung der aufgestellten Fragen bot. Lediglich die Aufnahme eines monatlichen 10- bis 15-minütigen Schmalspurbahnberichtsblockes im Rahmen der MDR-Sendung „hier ab vier“ wurde als konkreter Ansatz in Aussicht gestellt.
Auf eine Antwort vom Intendanten und vom Chefredakteur warten die zahlreichen Briefschreiber, nicht nur die Initiatoren der Aktion „Rettet die Bahnzeit!“, noch immer.
Das Ignorieren der Zuschauer in bester Ausprägung – einer durch die Finanzierung seiner Zuschauer gesicherten öffentlichen Einrichtung absolut unwürdig, Herr Prof. Reiter!
Über den laufenden Schriftwechsel und den Eingang der Schreiben wurde auf der Aktionsseite „www.rettet-die-bahnzeit.de“ in regelmäßigen „Tagebuch“-Einträgen berichtet und die jeweiligen Schreiben zum Nachlesen im „Briefkasten“ veröffentlicht.
Weiterhin erhielten auch zahlreiche Mitglieder des Rundfunkrates per Brief die Bitte übermittelt, sich im Rahmen der Aufgaben und Möglichkeiten des Rundfunkrates für eine regelmäßige Eisenbahnsendung einzusetzen.
In den Mitte März stattgefundenen Beratungen des Fernsehausschusses (einem „Fachgremium“ des Rundfunkrates) sowie des gesamten 43köpfigen Rundfunkrates wurde die „MDR-Bahnzeit“ dann auch durch einige Rundfunkratsmitglieder thematisiert und teils sehr deutlicher Unmut gegenüber den Programmverantwortlichen zum Ausdruck gebracht.
Gleichwohl gab es auch von dieser Beratung des Gremiums keine greifbaren öffentlichen Verlautbarungen oder gar eine Beschlußfassung, so daß die in Einzelgesprächen verschiedener Teilnehmer aufgekommenen Lösungsansätze und Ideen bisher keinerlei Verbindlichkeit ausstrahlen. Nach wie vor ist das Bemühen des MDR darauf ausgerichtet, die Relevanz der Sendung und der Zuschauerreaktionen auf die Einstellung der Sendung herunterzuspielen. Interessant ist natürlich, daß seitens der MDR-Führung sofort „Verschwörungstheorien“ über die Beweggründe der Aktionsinitiatoren aufkamen – zumindest waren wohl einige Rundfunkratsmitglieder mit Fragen in dieser Richtung konfrontiert.
In einem persönlichen Gespräch mit dem Rundfunkratsvorsitzenden Johannes Jehnichen stellte Jörg Müller diesem am 19. März die Argumente und Ziele der Aktion und der mehrere Tausenden Zuschauer vor. Das Gespräch bot natürlich auch die Möglichkeit, unscharfe und auf falschen Informationen seitens des MDR basierenden Kenntnisse zu präzisieren. So argumentierte der MDR gegenüber dem Rundfunkrat unter anderem damit, daß es sich bei der MDR-Bahnzeit um eine derartige fachspezifische Sendung handele, daß der MDR aufgrund der geringen Relevanz für die Bevölkerung diese aus dem Programm genommen hätte. Das Gespräch hat sicherlich beidseitig geholfen, die Aufgaben und Möglichkeiten des Rundfunkrates auch im Zusammenhang mit der Sendung „MDR-Bahnzeit“ besser zu verstehen. Herr Jehnichen bestätigte jedenfalls, daß sich der Rundfunkrat seiner Aufgabe bewußt sei – und auch weiterhin bei diesem Thema gegenüber dem MDR–Management nachhaken werde.
Eine besondere Bitte zum „Nachhaken“ bezog sich auf die tatsächlichen Einschaltquoten der Sendung. Inzwischen besteht die Vermutung, daß innerhalb des Hauses „mit gezinkten Karten“ gespielt werden könnte und unter Umständen auch dem Intendanten die tatsächlichen Werte nicht vorlägen – schließlich handelt es sich hierbei um das hauptsächliche Totschlagargument der Rundfunkanstalt.
Gibt es Aussicht auf Besserung?
Es besteht der berechtigte Anlaß zu der Hoffnung, daß die Aktion ein Umdenken beflügeln könnte. Neben den öffentlich bekannten Aktivitäten sind tatsächlich auf verschiedenen Ebenen gesellschaftlicher und politischer Organisationen Menschen auf das Thema aufmerksam geworden. Die Erkenntnis, daß die Eisenbahnen im Heimatsendegebiet des MDR zu einem tragfähigen Pfeiler der Tourismuswirtschaft geworden sind und damit konkret Arbeitsplätze von Menschen unter anderem von einer regelmäßigen Berichterstattung im Fernsehen abhängen, hat bereits zahlreiche Menschen in verantwortlichen Positionen erreicht. Nur leider im Hause MDR noch nicht.
Deshalb kann es noch keinen Stop der Aktion „Rettet die Bahnzeit!“ geben. Auch wenn das über die Internetseite „www.rettet-die-bahnzeit.de“ erreichbare Potential für die Unterschriftenseite vielleicht weitgehend ausgereizt erscheint, können wir noch weitere Menschen für die Unterstützung der Aktion gewinnen. Ideen haben wir noch einige im Köcher …
Nach wie vor besteht von den Initiatoren keinerlei Interesse, eine „Schlammschlacht“ oder „Kampagne“ gegen den MDR zu führen – auch wenn man damit wahrscheinlich in der nur noch auf Katastrophen und Skandale orientierten Medienwelt schneller Gehör gefunden hätte. Die Argumente pro „MDR-Bahnzeit“ sind fundiert genug – es bedarf damit auch keines „inszenierten Skandals“.
Doch wir werden auch an geeigneter Stelle – der Legislative der Länder – die selbstherrliche Ignoranz der Verantwortlichen der Rundfunkanstalt hinterfragen und zu einer Positionierung auffordern. Trotz anlaufendem Personalroulett und anstehender Pensionierung von Programmdirektor, Chefredakteur und weiteren Personalien sowie internem Kleinkrieg zwischen „Fürstentümern“ erwarten die mündigen Zuschauer und Finanziers der Anstalt Beachtung. Selbstherrlichkeit ist fehl am Platze, wenn sich Zuschauer in einem bisher nicht dagewesenen Umfang für eine Sendung stark machen und damit eine einzigartige Zuschauerbindung verdeutlichen.
Bis zum Sommer werden die Weichen für die künftige Programmstruktur gestellt. Bis dahin werden wir mindestens Präsenz zeigen, damit die Notwendigkeit einer regelmäßigen Eisenbahnsendung in steter Erinnerung bleibt.
Ein erster Lichtblick in diesem Sinne war ja das Nachmittagsprogramm am Karfreitag. Da bot der MDR ein zweieinhalbstündiges Eisenbahnprogramm. Die guten Quoten zeigten, daß der MDR seine Zuschauer nicht zu Tode gelangweilt hat – und das weitgehend mit Archivmaterial von Dreharbeiten zu 99 Folgen „MDR-Bahnzeit“.
05.04.2010