Eisenbahn-Technik
Alternative Antriebsenergiequellen für den Schienenverkehr – eine Zukunftsfrage für Dampf und Diesel
Ausgangslage
Nicht erst mit der Aggression Russlands in der Ukraine und der damit einhergehenden notwendigen Trennung vom bisherigen dominanten Energielieferanten für Gas, Öl und Kohle stellt sich die Frage nach den zukünftigen Energiequellen für den Schienenverkehr. Politisches Gemauschel und Lobbyismus haben in den vergangenen zehn Jahren dafür gesorgt, dass die zuvor boomende Wind- und Solarenergiebranche ausgebremst wurde. Mit der wachsenden Brisanz klimatischer Veränderungen ist der Umgang mit den fossilen Energieträgern zu einem entscheidenden Faktor für die Erhaltung unserer Umwelt geworden. Ein konsequentes Umsteuern der Energiepolitik wird notwendig – dem kann man sich auch als Liebhaber der fossil befeuerten Dampfloktechnik nicht entziehen. Natürlich stellt sich die Frage der Zukunftsfähigkeit dieser Technologie und es ist notwendig, verschiedene Lösungsansätze zu betrachten.
Elektrifizierung als Königsweg
Wer bei dieser Überschrift zuerst an die Oberleitung über dem Gleis denkt, liegt nicht falsch. Wer aber das Thema tiefer beleuchtet, bringt weitere Facetten zu Tage. Die Elektrifizierung der Bahn als Königsweg zu bezeichnen, basiert auf der Erkenntnis, dass inzwischen Strom aus Wind und Sonne zu einem wirtschaftlich günstigen Preis produziert werden kann. Allerdings sind daran momentan aufgrund der Energiepreissteigerungen ernsthafte Zweifel erlaubt. Denn der politisch geschaffene Strompreisbildungsprozess ist so gestaltet, dass die am teuersten produzierte Kilowattstunde den Verkaufspreis bestimmt. Auch das abgeschriebene Atomkraftwerk kann wegen der Einrechnung der Aufwendungen für Entsorgung und Nachsorge nicht mehr mit den Kosten der Stromerzeugung durch Solar- und Windkraft mithalten. Wo dies noch argumentiert wird, sind andere Interessen im Spiel. Wird die Erzeugungskapazität im kommenden Jahrzehnt mit erneuerbar erzeugtem Strom so stark ausgebaut, dass auch bei sogenannten Dunkelflauten annähernd noch die Grundlast abgedeckt werden kann, stünden bei guter Windlage oder sonnigem Wetter große temporären Überkapazitäten zur Verfügung. Schon geradezu verschwenderisch wären auch einen Wirkungsgradverlust tolerierend diverse energetischen Umwandlungsprozesse möglich, um andere Energieträger wie Biogas, Biokraftstoffe oder Biofestbrennstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, Wasserstoff, Sauerstoff und Strom zu erzeugen. Bleibt die Politik ihren seit der Bundestagswahl 2021 bestehenden Ausbauzielen für erneuerbare Energien treu (und fällt auch eine gegebenenfalls andere Regierungskonstellation nach der nächsten Wahl nicht dahinter zurück), ist dieser Zustand tatsächlich in etwa einer Dekade erreichbar. Die Nachweisführung für diese Argumentation muss dieser Beitrag jedoch schuldig bleiben und auf die diversen verfügbaren wissenschaftlichen Analysen zu diesem Thema verweisen. Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass ein wesentlicher Bestandteil in diesen Umwandlungsprozessen der Wasserstoff sein wird, auch wenn dieser es nicht allein richten kann. Außer Frage steht, dass man den Strom am besten als solchen verwertet und damit den höchsten Wirkungsgrad erzielen kann. Doch nicht überall ist die Direktversorgung mit elektrischer Energie sinnvoll, selbst wenn man deren unbegrenzte Verfügbarkeit annehmen würde. Allein schon beim Schienenverkehr ist der investive Aufwand, Gleise mit Fahrdraht zu überspannen, ein erheblicher wirtschaftlicher Faktor. Nicht jede Eisenbahnstrecke kommt dafür infrage. Auch sprechen gelegentlich noch andere Gründe gegen den Strom als Energieträger, so dass zweckmäßige Alternativen mittels verlustbehafteter energetischer Umwandlung gesellschaftlich akzeptabel werden.
CO2-frei mit Wasserstoff
Der mittels Elektrolyse hergestellte Wasserstoff bietet sich als komplett carbonfreie Energiealternative für Prozesse an, die einerseits unstetig sind und anderseits auch unabhängig von Sonne oder Wind mit höherer Energiedichte auskommen müssen. Inzwischen entwickelt sich eine sehr umfangreiche Forschungs- und Pilotprojektlandschaft in Deutschland, wobei auch Chemnitz in Sachsen ein signifikanter Standort werden wird, um die umfassenden Themen rund um den Wasserstoff zu betrachten. Dass der in Tanks mitgeführte gasförmige Stoff auch zur Stromerzeugung durch Brennstoffzellen in Schienenfahrzeugen dienen kann, ist dabei ein interessanter Anwendungsfall. Hier ist es gut, dass diesen Forschungsansätzen nachgegangen wird, auch wenn sich herausstellen wird, dass es in einzelnen Anwendungsfällen andere wirtschaftlichere Möglichkeiten gibt. Der klassische Dieselantrieb wird auf regionalen Eisenbahnstrecken aber in absehbarer Zeit ausgedient haben, denn Batterien oder Wasserstofftanks bieten die Unabhängigkeit des Fahrzeugs vom Fahrdraht. Selbst den Einsatz von Straßenbahnwagen mit Wasserstoffantrieb kann man dort sinnvoll gestalten, wo man auf Oberleitungen verzichten kann oder muss und dennoch die Fläche erschließen will. Dass man bestehende Straßenbahnnetze durch wasserstoffbetriebene Fahrzeuge ersetzt, wird nicht ernsthaft in Erwägung gezogen (gern aber als Totschlagsargument gegen die Technologieuntersuchung genommen).
Doch was ist mit der Kohle?
Dem Liebhaber der Dampflok schwant natürlich nichts Gutes, hört er von Elektrifizierung und Wasserstoffwirtschaft. Während die Feinstaubbelastung durch Steinkohleverbrennung minimal ist und der Kohlenstoffruß durchaus düngende Wirkung erzielt, entsteht durch die Verbrennung nun einmal Kohlenmonoxid und -dioxid. Spielte der Anteil der durch den Dampflokbetrieb in Deutschland erzeugten Abprodukte im Verhältnis zu dem Ausstoß von Braunkohlekraftwerken oder der Aber-Millionen Verbrennungskraftfahrzeuge keine relevante Rolle (und konnte damit bei Klimabetrachtungen auch außer Betracht gehalten werden), wird es in Zukunft andere Beweggründe für eine Umstellung geben. Die Verfügbarkeit bzw. rasante Verteuerung von Steinkohle ist dabei nur ein Faktor. Um aber das eingangs erwähnte Unbehagen über eine elektrifizierte Musemsbahn abzubauen, gilt es mittelfristig, praktikable Alternativen zu untersuchen und daraus zügig Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Konkrete Ansätze in Arbeit
Aus Fördermitteln des Bundes für Strukturentwicklung in den bisherigen Braunkohlerevieren wurde so im November 2021 im Landkreis Görlitz neben zahlreichen anderen Projekten auch das Vorhaben „Pilotprojekt – Umbau einer historischen Dampflokomotive der Zittauer Schmalspurbahn auf umweltfreundlichere Antriebstechnologie“ bewilligt. Dass man dabei durchaus auch auf flüssigkeitsbasierte Energieträger bei der Untersuchung setzt, ist im Sinne der technologieoffenen Betrachtung nur konsequent, da man die prinzipielle Tauglichkeit eines Dampflokkessels für die Verbrennung von Leicht- und Schweröl bereits kennt. Biologische Flüssigtreibstoffe könnten künftig für solche Anwendungen überlegenswert sein. Bei den Harzer Schmalspurbahnen wiederum wurde im Februar 2022 eine durch den Freistaat Thüringen bei der Hochschule Nordhausen beauftragte Machbarkeitsstudie vorgestellt, die konkret den Einsatz von Wasserstoff als Ersatz für Steinkohle zu untersuchen hatte. Dabei wurde zunächst festgestellt, dass eine Substitution der Steinkohle durch Wasserstoff aufgrund der zu geringen Energiedichte des Gases ausscheidet. Das dafür notwendige Tankvolumen könnte weder in den vorhandenen Lokomotiven, noch in zusätzlichen Tendern zur Verfügung gestellt werden. Unter diesen Einschränkungen fokussierte sich die Machbarkeitsbetrachtung über den Wasserstoff hinaus auf den Einsatz alternativer erneuerbarer Brennstoffe, welche die traditionelle Antriebsart und den Charakter der Dampflokomotiven nicht verändern. Denn insbesondere eine vergleichbare Energiedichte beim Energieträger ist die Voraussetzung dafür, den herkömmlichen technologischen Ansatz der Dampferzeugung mittels Verbrennung beizubehalten. Dass die Verbrennung und Erzeugung von CO2 per se nichts Verwerfliches ist, gehört dabei aber auch zum Verständnis. Wird der Basisenergieträger aus nachwachsendem Material gewonnen, ist ein geschlossener CO2-Kreislauf gegeben. Deshalb wurden bei der Untersuchung für die HSB auch Brennstoffe in fester, flüssiger und gasförmiger Form unter Einsatz von Pflanzenöl oder synthetischem Methanol betrachtet. Dabei spielte auch die Verfügbarkeit am Markt sowie die regionale Wertschöpfung eine wichtige Rolle. Im Ergebnis sehen die Bearbeiter der Machbarkeitsstudie die Möglichkeit, dass bei Verwendung erneuerbarer Brennstoffe aus unterschiedlichen Gründen die meisten Vorteile erzielt werden können. Sogenannte Pyrolysekohle, aus thermischer Umwandlung von Biomasse erzeugt und in Brikettform gepresst, kann einen ähnlichen Brennwert wie die herkömmliche Verfeuerung von Steinkohle erzielen. Allerdings ist die Erzeugung dieser Alternativen momentan preislich nicht vergleichbar mit dem bisherigen Brennmaterial. Da bisher kein Bedarf an derartigen Alternativen besteht, gibt es auch keine entwickelten großtechnologische Verfahren und Fertigungsprozesse. Aber auch die Solarenergie war zum Vergleich vor 15 bis 20 Jahren noch in Dimensionen weit von den heutigen Erzeugerpreisen entfernt. Mit entsprechender Forschung und Marktnachfrage wird der Herstellungsaufwand deutlich gesunken.
Aktuelle Herausforderungen
So optimistisch die benannten technischen Ansätze für die längerfristige Zukunft der Dampftraktion auf den Schienen in Zeiten einer Energiewende erscheinen, so kritisch steht der kurz- und mittelfristige Ausblick in Bezug auf die Verfügbarkeit sowie die Preisentwicklung von geeigneter Steinkohle. Viele Dampflokbetreiber in Deutschland bezogen in den vergangenen Jahren Steinkohle aus polnischen Abbaurevieren, da diese hinsichtlich Körnung, Schwefelgehalt und Verbrennungseigenschaften gut geeignet ist. Bereits vor Kriegsbeginn in der Ukraine hatte Polen jedoch den Export der Steinkohle massiv eingeschränkt. Denn trotz eigenem Abbau importierte Polen schon länger Kohle aus Russland, diese Importquelle dürfte wegen der kriegsbedingt gegen das Nachbarland verhängten Restriktionen kaum noch zur Verfügung stehen. Natürlich wird es alternative Bezugsquellen geben und manche schon geschlossene Steinkohlengrube weltweit vielleicht dank des steigenden Preises und bestehender Nachfrage wieder öffnen. Doch in der Konsequenz werden höhere Beschaffungskosten nicht nur für Kohle, sondern auch für Schmiermittel und Kraftstoffe, den Museums- und Tourismusbahnen zu schaffen machen und manche Betriebskostenkalkulation über den Haufen werfen. Andere Kohlesorten führen unter anderem durch schlechtere Verbrennung (mehr Rußentwicklung) oder einem höheren Schwefelanteil zwangsläufig zu höheren Instandhaltungsaufwendungen. Dieser Herausforderung müssen sich Dampflokbetreiber nun unmittelbar – und ohne Aussicht auf eine kurzfristige Abhilfe von erneuerbaren Energieträgern – stellen.
Fazit
Die technischen und energetischen Alternativen sind vorhanden, sodass die Feuerbüchsen der historischen Dampfloks langfristig gesehen nicht kalt werden müssen. Es bedarf des politischen Willens und der Innovationskraft der Hersteller, Betreiber, Forschungsinstitute sowie Techniker und Ingenieure, damit diese Perspektive umgesetzt werden kann. Mit der Möglichkeit verfügbarer elektrischer Energie aus erneuerbaren Quellen lassen sich viele weiterführende Anwendungen schaffen und nutzen – den Weiterbetrieb unserer Dampfeisenbahnen inklusive. Jörg Müller
Quellenhinweise
- Der Autor ist Mitarbeiter der Ingenieurgesellschaft HÖRMANN Vehicle Engineering GmbH und involviert in verschiedene Forschungen zur Nutzung von Wasserstoff für Schienenfahrzeuge.
- Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und das Sächsische Staatsministerium für Regionalentwicklung bestätigten am 17. Dezember 2021 weitere Strukturentwicklungsprojekte in der Lausitz (Pressemitteilung) inklusive dem im Beitrag erwähnten Pilotprojekt an einer Dampflok der SOEG in Zittau.
- Die HSB berichtete am 24. Februar 2022 von der Vorlage der Machbarkeitsstudie in einer Pressemitteilung, die in diesem Beitrag sinngemäß zitiert wurde.
20.04.2022