Fahrzeuge im Porträt
100 Jahre 99 6101 und 99 6102
Die beiden Dampflokomotiven, von denen hier die Rede ist, haben unter Lokpersonalen und Eisenbahnfreunden ganz spezielle Spitznamen. Lok 99 6101 ist der „Pfiffi“ (abgeleitet von „Pfiffikus“), Lok 99 6102 trägt den Kosenamen „Fiffi“. Die Heerestechnische Prüfungskommission (HK) der Deutschen Heeresfeldbahnen gab 1914 bei der Firma Henschel & Sohn in Kassel zwei nahezu baugleiche Dampflokomotiven als Baumuster für Versuchszwecke in Auftrag. Eine der Lokomotiven sollte als Heißdampf- und die andere als Nassdampflok ausgeführt werden. 1914, also vor 100 Jahren, wurden die beiden Loks geliefert sowie in Dienst gestellt. Im Rahmen eines Manövers baute das Königlich Württembergische Eisenbahnregiment bei Drei Annen Hohne im Harz eine Teststrecke mit bis zu 63 ‰ Steigung (Neigungsverhältnis 1:16) und testete bis in das Jahr 1916 die beiden Maschinen. Im Jahr 1917 vermietete das Heer die Heißdampflok an die Nordhausen-Wernigeroder Eisenbahn-Gesellschaft (NWE) und die Nassdampflok an die Nassauische Kleinbahn AG, später erwarben beide Gesellschaften die beiden Maschinen. Da die Cn2t bei der Nassauischen Kleinbahn mit knapp 11 t Achsfahrmasse für den dortigen Oberbau zu schwer war und deshalb häufig entgleiste, verkaufte die AG sie 1920 an die NWE. Die NWE gab der Heißdampflok die Bahnnummer NWE 6 und ihrer Schwester die Bahnnummer NWE 7. Beide C-Kuppler kamen hauptsächlich im Rangierdienst sowie zur Bedienung der Anschlussbahnen in Wernigerode und Nordhausen zum Einsatz.
Als die zuvor als Reparationsleistung für die Sowjetunion demontierte Selketalbahn ab Oktober 1946 wieder aufgebaut wurde, vermietete die NWE die Lok Nr. 7 im Jahr 1948 für die Bauzüge aus Richtung Gernrode. Im Jahr 1949 übernahm die Deutsche Reichsbahn die Betriebsführung auf den mittlerweile verstaatlichten Harzer Schmalspurbahnen. Die NWE-Lok 6 erhielt die Betriebsnummer 99 6101 und NWE-Lok 7 die Betriebsnummer 99 6102. Als die DR aufgrund von Ersatzteilproblemen und anderen Gründen Anfang der 1980er Jahre die Wagen von Saugluft- auf Druckluftbremse umrüstete, fehlte es an geeigneten Lokomotiven. Da 99 6102 bereits eine Druckluftbremse besaß, wurde sie bei der Einsatzstelle Gernrode stationiert und musste als eigentliche Rangierlok fortan Regelzüge ziehen. Lok 99 6101 kam im Jahr 1983 vor Bauzügen zum Wiederaufbau der Strecke Straßberg – Stiege der Selketalbahn zum Einsatz. Mitte der 1980er Jahre verfügte die Rbd Magdeburg, dass die Loks 99 6101 und 99 6102 wegen ihrer Achsfahrmasse von knapp 11 t und häufiger Entgleisungen nur noch mit Sondergenehmigung und 10 km/h Höchstgeschwindigkeit eingesetzt werden durften. In Wahrheit beruhten die häufigen Entgleisungen auf mangelnder Instandhaltung des Oberbaus. Während 99 6102 im Jahr 1986 in Wernigerode Westerntor abgestellt wurde, durfte 99 6101 noch die Anschlüsse in Wernigerode mit den Rollbockzügen bedienen und im Winter als Heizlok für die Bahnwerkstatt in Wernigerode Westerntor arbeiten. Nach Ablauf der Untersuchungsfristen stellte die DR auch diese Lok ab. Als nach der politischen Wende in der DDR die Stilllegung der Selketalbahn drohte, gründeten Eisenbahner, Eisenbahn- und Heimatfreunde 1990 die „AG Selketalbahn“. Die DR gab die seit 1987 in Gernrode abgestellte 99 6102 in die Obhut der AG. Im Jahr 1991 ging aus der AG Selketalbahn der Freundeskreis Selketalbahn e. V. (FKS) hervor. Zum 1. Februar 1993 übernahm das kommunale Unternehmen „Harzer Schmalspurbahnen GmbH (HSB)“ die Betriebsführung auf den Schmalspurbahnen im Harz. Strecken, Gebäude und Fahrzeuge – darunter auch die Lokomotiven 99 6101 und 99 6102 – wechselten von der DR in das Eigentum der HSB.
Auf Initiative der IG Harzer Schmalspurbahnen e. V. (IG HSB) wurde die Lok 99 6101 im Jahr 1994 betriebsfähig aufgearbeitet und steht seitdem für Sonderfahrten zur Verfügung. Im Jahr 1996 begannen Vereinsmitglieder des FKS mit der Aufarbeitung von 99 6102. Mit Unterstützung der Werkstatt der HSB und des Dampflokwerkes Meiningen gelang es dem Verein zum Jubiläum „110 Jahre Selketalbahn“ am 7. August 1997, die Lok wieder in Betrieb zu nehmen. Der FKS setzte die Lok 99 6102 oft vor Sonderzügen im Zusammenhang mit seinen Veranstaltungen ein. Bei der für 99 6102 anstehenden Hauptuntersuchungen (HU) für Dampfkessel bzw. Fahrwerk hatte der FKS die Kosten aus der Vereinskasse, aus Spenden und in Form von Eigenleistungen übernommen. Im April 2008 lief die Kesselfrist von 99 6102 ab. Die HSB schickte die Lok zur HU ins Dampflokwerk Meiningen. Nach dem bei einer HU notwendigen Zerlegen in Einzelteile wurde festgestellt, dass der Dampferzeuger erneuert werden muss. Angesichts der veranschlagten Kosten entschied die HSB, 99 6102 von der Instandhaltung zurückzustellen. Während 99 6101 zum 100. Jubiläum als betriebsfähige Lok vor Sonderzügen zu erleben sein wird, begeht 99 6102 das Jubiläum nur als ein im Dampflokwerk Meiningen verstreuter Bausatz. Anlässlich des 100. Betriebsjubiläums veranstalten die HSB und der FKS im Mai 2014 Sonderfahrten mit Lok 99 6101.
Veranstaltungen des FK Selketalbahn e. V.:
19./20. April – Osterfahrten im Selketal; Osterspiele; Eiersuchen; Osterhasentauziehen 30. April/1. Mai – Dampfsonderfahrt in die Walpurgisnacht; Walpurgisfeier in Stiege 3. Mai – Fotofahrt mit 99 6101 zu deren 100. Jubiläum; zusätzlich Triebwagen 187 001 17. Mai – Brockenfahrt mit dem Schienencabrio; ab Gernrode; Bustransfer ab Leipzig möglich 24. Mai – Mit dem Harzkamel (BR 199.8) von Gernrode nach Wernigerode; mit Fotohalten 29. Mai – Vatertagsfahrt ab Gernrode; Wandern und Grillen im Selketal; Bustransfer ab Leipzig 31. Mai/1. Juni – Teddybärfahrten zum Kindertag; Dampfsonderzug von Gernrode nach Silberhütte; Besuch des Unterharzer Märchenwaldes 21. Juni – Mondscheinfahrt; Dampfsonderzug Quedlinburg – Harzgerode und zurück www.selketalbahn.de
06.04.2014