Regelspur- und Museums-Nachrichten
Letztes Geleit mit der Eisenbahn
Einen „Großen Bahnhof“ auf freier Strecke der eingleisigen Nebenbahn (Gaschwitz –) Böhlen (b Leipzig) – Rötha – Espenhain gab es am Sonnabend, dem 31. August, aus Anlass einer Trauerfeier auf dem Friedhof der Stadt Böhlen, welcher unmittelbar an dieser Bahnlinie liegt. Da der Verstorbene als ehemaliger Leiter des Bahnhofs Böhlen (b Leipzig) Mitbegründer und langjähriger Eisenbahnfreund des EISENBAHN-FREUNDESKREIS WESTSACHSEN Böhlen/Großsteinberg (EFK WESTSACHSEN) war, schrieb der EFK WESTSACHSEN in Absprache mit den Angehörigen des Verstorbenen ein ausgefallenes „Drehbuch“ zum Abschied. Mit ins Boot geholt wurden der Verein Sächsischer Eisenbahnfreunde e. V. (VSE) sowie die Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH (PRESS). Der VSE stellte seinen LOWA-Reisezugwagen der Bauart E5 und die PRESS mit der 112 565-7 die passende Lok zur Verfügung. Dieser außergewöhnliche und in der Vereins- und Firmengeschichte von VSE und PRESS bislang auch einmalige Fahrzeugeinsatz für einen ganzen Trauerzug begann bereits am Vortag mit der Zuführung der Fahrzeuge nach Espenhain. Espenhain, ein für die PRESS sehr wichtiger Betriebsstandort, ist zudem der Endpunkt der zur Trauerfeier zu befahrenden Eisenbahnstrecke unter Regie der DB Netz AG, was sich in diesem Falle bestens ergänzte. Die Fahrzeugzuführung und auch -rückführung wurde zugleich für die Überführung von Güterwagen des Bauzugdienstes genutzt. Im Wagen wurde zudem eine nach außen schallende Musikanlage eingebaut und mit der Lok für die benötigten 220 V Wechselstrom verkabelt. Nachdem alles funktionsfähig war, begann das Einstudieren und Üben des Ablaufs für die Trauerfeier am Folgetag. Mehrfach wurde die Zeremonie durchgespielt, damit sich der Ablauf einprägte und jeder Handgriff saß. 10.35 Uhr war Abfahrt in Espenhain, Punkt 11 Uhr ließ Lokführer Martin Halbauer das Makrofon seiner Lokomotive markerschütternd ertönen. Viele der vor dem Friedhof Böhlen völlig ahnungslos wartenden Trauergäste dachten in diesem Moment, schön, sehr passend, dass ausgerechnet jetzt auch noch ein Zug kommt. Doch beim Anblick des aus dem Wald am südlichen Stadtrand von Böhlen herausfahrenden Zuges war es für jedermann erkennbar, dass das Verkehren dieses Zuges kein Zufall war.
Die auf Hochglanz polierte Lokomotive mit dem einzigen erhaltenen LOWA-Wagen der Bauart E5 glitzerte im Sonnenlicht und der laue Spätsommerwind ließ den Trauerflor an Lok und Wagen leicht wehen. Mit dem Halt des Mitteleinstieges des Museumsreisezugwagens auf dem Bahnübergang trat absolute Stille ein. Die Straße war vom EFK WESTSACHSEN kurz zuvor gesperrt worden. Nachdem auch der Motor der Lokomotive verstummt war, öffnete sich die Doppeltür des LOWA-Wagens. Im Blickpunkt des festlich geschmückten Perrons die Urne, Kerzen sowie ein letzter Gruß des EFK WESTSACHSEN an seinen verstorbenen Mitbegründer und Förderer. Dezent in Klang und Lautstärke ertönte aus dem Wagen heraus zum Beginn des Abschieds das Lied „Time to say goodbye“ (Es ist Zeit, auf Wiedersehen zu sagen), interpretiert von Andrea Bocelli & Sarah Brightman. Nach einer Gedenk- und Schweigeminute übergab der Fahrtleiter des Trauerzuges DPE 75946, Rolf Reich, die beförderte Fracht. Zugführer Ronny Wiesner vom VSE eskortierte die feierliche Übergabe in der Uniform der Deutschen Reichsbahn, die für den Verstorbenen über mehr als 50 Dienstjahre alltägliche Berufsbekleidung war.
Nachdem die Trauergesellschaft den Friedhof erreicht hatte, rückte der Sonderzug 100 m in Fahrtrichtung Böhlen auf die Höhe der Familiengrabstätte vor. Erhöht auf dem im Gleisbogen in den Bahnhof Böhlen (b Leipzig) führenden Bahndamm wartete der Trauerzug für einen allerletzten Gruß an den Verstorbenen. Exakt in dem Moment, als die Urne beigesetzt war, ertönten ein letztes Mal beide Makrofone der Lok zum Abschied. Dann startete der Motor und der Sonderzug fuhr neuen Aufgaben im Netz der Eisenbahnen entgegen.
Der Sonderzug DPE 75946 war ein äußerst außergewöhnlicher Zug. Es war ein verdienter und zugleich würdevoller Abschied, welcher bereitet wurde. Hinter diesem Abschied steckt großes persönliches Engagement der wenigen in die Sonderzugfahrt eingeweihten Eisenbahnfreunde, ohne welches die Trauerzugfahrt nicht möglich gewesen wäre. Am Wochenende 30./31. August war die Eisenbahnstrecke Böhlen (b Leipzig) – Espenhain planmäßig wegen Vegetationsrückschnitt gesperrt. Doch Dank der Bemühungen von Torsten Hahn (PRESS) und Fahrdienstleiter Thomas Richter von der DB Netz AG sowie dem beauftragten Landschaftsbauunternehmen wurde eine Lösung gefunden, die das Verkehren des Sonderzuges DPE 75946 ermöglichte.
Angehörige und Trauergäste danken insbesondere dem Zugpersonal, Fahrtleiter Rolf Reich, Zugführer Ronny Wiesner und Lokführer Martin Halbauer sowie Hans-Dieter Weide, Harald Döge, Lutz Mehlhorn und Roland Sander für alle begleitenden organisatorischen Regelungen.
18.10.2013