Fahrzeuge im Porträt
Die Aufarbeitung des letzten „Altenberger Wagens“
Für den Umbau der Müglitztalbahn auf Normalspur in den dreißiger Jahren entwickelten die Linke-Hofmann-Werke in Breslau neuartige Mitteleinstiegswagen in Leichtbauweise. Vor fünf Jahren kehrte das letzte erhaltene Exemplar dieser als „Altenberger Wagen“ bekannt gewordenen Gattung aus der Tschechischen Republik nach Deutschland zurück. Seitdem arbeitet der Förderverein für die Müglitztalbahn e.V. an seiner originalgetreuen Restaurierung, die bis September 2005 abgeschlossen werden soll.
I. Die Geschichte der Wagen
Für das geplante Betriebskonzept der sich im Umbau befindlichen Müglitztalbahn stand 1935 kein geeignetes Wagenmaterial zur Verfügung. Daraufhin wurden bei den Linke-Hofmann-Werken in Zusammenarbeit mit dem Reichsbahnzentralamt neuartige Personenwagen in Leichtbauweise entwickelt. Entstanden sind dabei zwei Wagen-Typen, die als BC4i-35a und C4i-35a bezeichnet wurden. 1936/37 wurden insgesamt 96 (32/64) dieser als „Altenberger Wagen“ bekannten Reisezugwagen beschafft. Die Wagen verkehrten nicht nur auf der Müglitztalbahn, sondern wurden werktags auch im Dresdner Vorortverkehr eingesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verblieben 40 Wagen auf dem Gebiet der Deutschen Reichsbahn. Sie wurden zunächst im Eilzugdienst eingesetzt. Ab 1954 fuhren die Wagen wieder auf ihrer Stammstrecke. Bis 1968 wurden alle Wagen von der DR ausgemustert. Anfang der neunziger Jahre wurden die letzten in Deutschland erhaltenen Exemplare zerlegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verblieben einige Altenberger Wagen bei anderen Verwaltungen. So führte vier Wagen die DB, zwei die ÖBB und mehrere auch die ČSD. In der Tschechoslowakei erhielten die Wagen zunächst die Gattungsbezeichnung „Calm“. 1956 – mit Abschaffung der 3. Klasse – erfolgte die Umzeichnung in „Balm“. Doch die Wagen wurden nicht mehr lange eingesetzt. Um so erstaunlicher war es deshalb, als Eisenbahnfreunde im April 1998 in Zlonice, einer Bahnstation an der Prag-Duxer Eisenbahn, einen Altenberger Wagen vom Typ C4i-35a entdeckten und den Förderverein für die Müglitztalbahn e. V. davon berichteten. Unverzüglich wurde der Wagen in Augenschein genommen.
Er präsentierte sich in einem desolaten Zustand. Vom in Zlonice ansässigen Eisenbahnverein erfuhren die Sachsen die Geschichte dieses Wagens bei den ČSD: Zunächst trug er die Registriernummer 5-0036. In den sechziger Jahren erhielt er die Nummer 64567. Damals diente er in Prag-Vršovice als Dienstwagen. Eisenbahner gelangten in ihm vom Bahnhof in die Lokomotivdepots und zu den Rangierbahnhöfen. Nach seiner Ausmusterung stand er etwa 30 Jahre auf einem Abstellgleis und diente als Unterkunfts- bzw. Lagerraum. Alles verwertbare (Fenster, Gepäcknetzträger, Abortausstattung etc.) wurde herausgerissen. Anfang der neunziger Jahre kam der Wagen schließlich nach Zlonice. Während der Restaurierung des letzten Altenberger Wagens wurden Bauartunterschiede zur Serienausführung festgestellt, so daß zunächst festgestellt werden konnte, daß es sich bei diesem Wagen um einen Probewagen handelt. Von den vier Wagen C4i-35a der Probeserie wurden zwei mit dem Abort auf der linken und zwei mit dem Abort auf der rechten Seite des Wagenkastens ausgeführt. Des weiteren gab es in der Probeserie Ausstattungsunterschiede bei den Türgriffen, Haltestangen, Schlössern und Beleuchtungskörpern. Anhand vorhandener Werkfotos konnte so geklärt werden, daß es sich um den „Dresden 73 413“ handelt! Am 18. Mai 2000 kehrte der letzte Altenberger Wagen nach Deutschland zurück. Zur Aufarbeitung kam er nach Görlitz.
II. Die Aufarbeitung des „Dresden 73 413“
Bei der Zerlegung konnten die notwendigen Arbeiten für die originalgetreue Restaurierung festgelegt werden. Zunächst wurden bis Ende 2001 der Wagenkasten und die Drehgestelle aufgearbeitet. Für den Innenausbau, der praktisch einem kompletten Neuaufbau gleichkommt, sollten weitere Fördermittel beantragt werden. Im Jahr 2001 erhielt der Verein fast die gesamten Werkszeichnungen. Damit waren die Voraussetzungen für die detailgetreue Restaurierung gegeben. Für die Beantragung weiterer Fördermittel mußte ein Finanzierungsplan erstellt werden. Das erwies sich als sehr schwierig, da viele Teile nach den Originalzeichnungen neu zu fertigen sind. Die Kosten für erforderliche Kleinstserien oder Einzelstücke konnten zu diesem Zeitpunkt nur geschätzt werden. Die anzuwendenden Technologien, z.B. für die Fensterfertigung, können nur in Abstimmung mit entsprechenden Lieferfirmen festgelegt werden. Die benötigten Fördermittel wurden schließlich im Februar 2003 durch das EU-Programm „Interreg IIIa“ – kombiniert mit einer Vergabe-ABM – bereitgestellt. Damit konnte das Projekt nach einer 15monatigen Unterbrechung fortgesetzt werden. Nach einer EU-weiten Ausschreibung erhielt die Firma BMS in Ostritz den Zuschlag, die sich mit der Aufarbeitung von sächsischen Schmalspurwagen gute Referenzen erarbeitet hatte.
Zunächst erfolgte die Überführung des Wagens nach Ostritz. Diesen Transport führte die Eisenbahnbau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH (PRESS) aus Jöhstadt mit ihrem Tieflader aus. In Ostritz wurden die vorhandenen Teile geprüft, wiederverwertbare Teile, wie Sitzgestelle oder Fenstermechanik, aufgearbeitet, sowie fehlende Teile neu gefertigt. Sehr schnell wurde klar, daß der weitere Innenausbau eine große Herausforderung werden wird. Nicht nur, daß die Neufertigung der Fenster sowie der Gepäcknetzträger technologisch ungeklärt war, es mußten sämtliche Futterhölzer für die Wandverkleidung einzeln gefertigt und angepaßt werden. Die noch vorhandenen Wandverkleidungen waren durch Witterungseinflüsse und Vandalismus unbrauchbar. Sie dienten aber als Muster und gaben so wertvolle Hinweise für die Neuanfertigung.
Sehr gute Erfahrungen konnten mit den eingesetzten ABM-Kräften gesammelt werden. Sie identifizierten sich voll mit der Zielstellung des Projektes und engagierten sich großartig. Der Fortgang des Projektes erforderte eine ständige Abstimmung zwischen dem Verein und BMS. In Archiven wurde nach Zeichnungen gesucht, Kontakte zu Eisenbahnfreunden, die historische Teile beisteuern können, mußten gefunden werden. Die Nachfertigung von Teilen ist aufgrund der geringen Mengen sehr aufwendig und damit teuer.
Bis jetzt liegt die Restaurierung des letzten Altenberger Wagens im Zeitplan. Nachdem 2004 die Fensterfertigung und Anfang 2005 die Herstellung der Gepäcknetzträger sichergestellt waren, sind die größten technologischen Probleme gelöst. Die Zwischenwände, Wandverkleidungen, Heizung und Sitzgestelle sind gefertigt bzw. aufgearbeitet und zum großen Teil eingebaut.
III. Ausblick
In den verbleibenden Monaten gibt es noch sehr viel am „Dresden 73 413“ zu tun. Die Farbgebung muß aufgetragen werden, die Holzarbeiten sind abzuschließen, verschiedene Anbauteile sowie die Beschilderung sind anzufertigen bzw. zu beschaffen. Allerdings haben Preissteigerungen bei Material im zum Teil zweistelligen Prozentbereich innerhalb der vergangenen beiden Jahre sowie Mehrkosten bei der Fenster- und Gepäcknetzträgerfertigung die Mittel des Fördervereins zur Restaurierung des Vierachsers aufgezehrt. Um die Arbeiten bis zur Rückkehr des letzten erhaltenen Altenberger Wagens ins Müglitztal im September 2005 abschließen zu können, ist eine finanzielle und fachliche Unterstützung möglichst vieler Eisenbahnfreunde, aber auch Firmen notwendig! Der nicht betriebsfähig aufgearbeitete Wagen soll auf dem Vereinsgelände in Bärenstein besichtigt werden können.
Hilfsangebote, Anfragen und Spenden können gerichtet werden an den Förderverein für die Müglitztalbahn e.V., Müglitztalstraße 23, 01768 Bärenstein, E-mail: foerderverein@mueglitztalbahn.de
30.03.2005