Reisebericht
Die Darjeeling Himalayan Railway
Vor Jahren weckte ein Film über die Darjeeling Himalayan Railway mein Interesse an dieser Schmalspurbahn im Nordosten Indiens. Die Dampflokomotiven, die so ganz anders aussehen als die bei uns verkehrenden, die Streckenführung mit ihren zahlreichen Kehren sowie das Umfeld der Strecke ließen in mir den Wunsch entstehen, einmal diese Bahn zu erleben. Dieses Jahr nun wurde der Traum Realität. Seit 1881 fährt die Bahn auf 610-mm-Gleisen (2 Fuß) aus der feuchtheißen Tiefebene bei Siliguri in die kühle Bergstadt Darjeeling. Hier nahmen britische Kolonialherren mit ihren Familien Zuflucht vor dem tropischen Klima Kalkuttas. Hier gedieh (und gedeiht) der berühmte Darjeeling- Tee, dessen Siegeszug mit dieser Schmalspurbahn begann. Mit der Bahn in die Bergregion gebrachte Güter waren wesentlich billiger als mit Ochsenkarren transportierte. Längst ist der Gütertransport Geschichte. Heute nutzen die Züge Einheimische und Urlauber (vor allem aus Kalkutta). Und Eisenbahnfreunde aus aller Welt.
Diese treffen aus Delhi und Kalkutta im Bahnhof New Jalpaiguri ein. Und hier beginnen die diesellokbespannten Züge der Darjeeling Himalayan Railway ihre Fahrt in die Berge. Nach 6,5 Stunden endet sie in der Regel im Zielbahnhof auf 2076 m Höhe. Bei einer Streckenlänge von 88 Kilometern entspricht das einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 13,5 km/h. Durchfahren wird eine Landschaft von atemberaubender Schönheit und Vielfalt, vom Urwald in der Ebene zu den Teeplantagen an den Berghängen. Aber größtenteils fährt die Bahn an/auf der Straße. 150 Mal kreuzt sie diese. Um den Höhenunterschied von über 2000 Metern bewältigen zu können, wurde die Trasse durch Kehren künstlich verlängert. Auf vier Kreiskehren schraubt sich der Zug über sein eigenes Gleis. Sechs Mal bedienten sich die Streckenplaner einer weiteren Methode, Höhe zu gewinnen: Mit Doppelspitzkehren, sogenannten Z-Kehren, schwingt sich der Zug regelrecht aufwärts. Am abrupt endenden aufsteigenden Gleis drückt die Lok den Zug nach dem Umstellen einer Weiche rückwärts (und aufwärts) in ein Stumpfgleis, wo seinerseits nach dem Umstellen einer Weiche die Bergfahrt vorwärts fortgesetzt wird.
Mit ständigem Hupen (bzw. Pfeifen bei Dampfbetrieb) macht der Zug auf sich aufmerksam, wenn er sich durch die engen Straßen der Ortschaften schlängelt. Oft sind zwischen Schienen- und Straßenfahrzeugen nur Zentimeter. Auch das Markttreiben findet dicht am Schienenstrang statt. Ist der Zug vorbei, wird auch auf den Schienen gehandelt. Überhaupt dienen die genagelten Gleise viel mehr als nur dem Eisenbahnverkehr. So erleichtern sich viele Anlieger den Wassertransport mit selbstgebauten Schienen-Handwagen. Aber auch als Treffpunkt für den Plausch, als Ruheplatz für Hunde und als Müllkippe ist die Strecke gut. Selbst als Webrahmen taugen die Schienen. Die DHR besitzt zwei Diesel- und 14 Dampfloks. Ist eine Diesellokomotive nicht einsatzbereit, muß mit Dampf gefahren werden. Entsprechend verlängert sich die Fahrzeit. Schließlich muß auf der Strecke Wasser genommen werden. Auch mit Pannen ist zu rechnen. Doch Zeit spielt eine untergeordnete Rolle. Hauptsache, man kommt mit. Und das ist gar nicht selbstverständlich. Will man auf einer Zwischenstation eine Fahrkarte kaufen, bekommt man diese erst, wenn die Ankunft und Weiterfahrt des Zuges als gesichert gilt und wenn in den Wagen noch Plätze frei sind.
So war für meine Frau und mich eine Fahrt über die Gesamtstrecke von Darjeeling nach New Jalpaiguri erst drei Tage später möglich. Der Fahrkartenkauf (Preis 1,58 Euro für 2 Personen) war ein fast zweistündiges Abenteuer zwischen zwei Schaltern. Dazu ist ein Formular auszufüllen. Neben fahrtrelevanten Angaben wie Zugnummer und Datum sind noch Namen, Alter, Geschlecht und Adresse anzugeben. Hinter dem „Booking Window“ wird dies in große Bücher übertragen. Dies alles geschieht unter einem Schild mit der Aufschrift „Welcome to the most tourist friendly hill railway of the world“. Dieselbe Prozedur wiederholt sich bei der Teilnahme an einem „Joy-ride“, einer Tour mit einem dampflokgeführten Sonderzug. Auf dieser Fahrt zwischen Darjeeling und Ghum liegt die vierte Kreiskehre, der Batasia-Loop. Bei klarer Sicht bildet das Kanchenjunga-Massiv eine grandiose Kulisse für den kleinen Zug. Mit 2257,65 m ist Ghum der höchste Bahnhof Asiens. Angeschlossen ist ein kleines Museum, in dem auch eine bei Orenstein & Koppel gebaute Lokomotive gezeigt wird. Die 14 vorgehaltenen baugleichen Dampfloks der Darjeeling Himalayan Railway sind britischen Ursprungs, entstanden zwischen 1889 und 1928. Ihre markante Erscheinung verdanken die B-Kuppler vor allem dem zwischen Schornstein und Dampfdom positionierten Satteltank. Zusammen mit dem Tank im Rahmen nimmt er den Wasservorrat auf. Zwischen Dom und mit einfachem Blech überdachtem Lokführerstand ist der Kohlenkasten. In ihm sitzt während der Fahrt ein Mitarbeiter, der mit dem Hammer die Kohlenstücke zerkleinert. Auf Plattformen vor den Triebwerken stehen in starken Steigungen Sandstreuer. Aus einem Kasten vor der Rauchkammer streuen sie Sand auf die Schienen.
Zwischen mehreren aufeinander folgenden Kreis- und Z-Kehren liegt bei Kilometer 24 die Station Tindharia. Im Ort sind die Werkstätten der DHR. Hier werden die Lokomotiven unterhalten und Wagen gebaut. Viele der Maschinen werden von einer gemeinsamen Transmission angetrieben. Beim Rundgang durch die Hallen dann eine Überraschung: Neben vielen britischen Maschinen standen einige sächsische, hergestellt von Ernst Kirchner & Cie., Leipzig-Sellerhausen. Ein Wermutstropfen der interessanten Besichtigung war das strikte Fotografierverbot. Die Zeit in Indien war mit Abstand unser anstrengendster Besuch einer Schmalspurbahn. Doch wer die Darjeeling Himalayan Railway je erlebt hat, kann verstehen, warum sie seit 1999 als UNESCO-Weltkulturerbe eingestuft ist.
28.11.2005