Fahrzeuge im Porträt
Eine Probefahrt wird zur Odyssee
Lastprobefahrt nach erfolgter Hauptuntersuchung von 99 1542-2 am 7. April 1993
Zu Beginn unseres kleinen Exkurses durch Raum und Zeit erlaube der Leser bitte noch eine Vorbetrachtung: Möge Herrn Dürr und seiner Mannschaft voller Erfolg bei der Durchsetzung der Bahnreform vergönnt sein, auf daß sich auch bei der Eisenbahn ein marktwirtschaftliches Prinzip herausbildet und „einige Mitarbeiter“ sich nach einem neuen Wirkungskreis umsehen müssen oder diese Möglichkeit zumindest ständig vor der Nase haben!
Doch nun zum eigentlichen Thema des Beitrages, der Probefahrt der hauptuntersuchten Lok 99 542.
Der Tragödie Erster Teil (um mit Goethe zu sprechen) beginnt bereits mit der Fertigstellung der Lok im Raw Görlitz Ende November 1992. Keiner fühlte sich hier in der Lage, der Lok entsprechend den bisherigen Gepflogenheiten bei der DR eine Lastprobefahrt auf einer Schmalspurbahnstrecke in Sachsen zu verschaffen. Lag es nun daran, daß die 99 542 die erste Privatlok „aus dem Osten“ im Raw war, und keine Kenntnisse der Verfahrensweise für diesen Fall vorlagen, oder „Unkenntnisse über die Bürokratie der Eisenbahn“ beim Auftraggeber vorlagen - egal!
Die IGP kümmerte sich nun in eigener Regie um eine Aufklärung der Abläufe.
„Lastprobefahrt für Privatloks gibt es nicht auf Reichsbahnstrecken.“ „Probefahrt ohne Probleme möglich.“ „Ohne Anträge geht nichts.“ „Das regeln wir unbürokratisch.“ „Sie brauchen eine Zulassung zum Fahren auf DR-Strecken.“ „Sie dürfen gar keine Lastprobefahrt machen.“ „Für eine Probefahrt ist nur das Raw zuständig …“ „Das muß die Zentrale genehmigen.“ „Wir sind nicht zuständig…“ „Ich kann da gar nichts machen.“ …
Getreu dem Motto „Schraps hat ‘nen Hut verloren, Wer hat ihn?“, war ständig alles beim alten.
Doch aufgeben ist nicht - bei Unklarheiten beschäftige man die Bürokratie mit Papier.
Aber der „Antrag auf Zulassung der Lok auf Strecken der DR“ zur Durchführung der Probefahrt auf der Schmalspurbahn Cranzahl - Oberwiesenthal kam zu einer ungünstigen Zeit. Zwei Wochen vor Weihnachten und der zuständige Bearbeiter nicht da. Die Vertretung war auch nicht informiert und so erlebte die Lok den Jahreswechsel verhüllt auf dem Transportwagen in Cranzahl. Doch auch anno 1993 gings nicht so richtig los, bis man in der Reichsbahndirektion Dresden feststellte, daß der eingereichte Antrag gar kein Antrag wäre, weil er nicht auf einem Vordruck steht.
Geduldig wie mensch ja nun ist, wurde auch dies verändert und es konnte eigentlich losgehen. Aber denkste! Da fehlten ja noch ein paar Anlagen. Glücklicherweise arbeitete sich der dafür Zuständige gerade in dieses Gebiet ein und stellte das Fehlen des einen oder anderen Blattes nach und nach fest.
Anfang Februar war nun der Antrag komplett - doch es bäumten sich neue Probleme auf:
„Ohne Probefahrt erhalten Sie keine Zulassung“ „Aber ohne Zulassung können wir doch keine Probefahrt machen!“ „Na dann machen Sie doch eine Probefahrt.“
Aber der Antrag lief erst einmal, denn Bürokratie will auch beschäftigt sein. Schließlich wurde unser Antrag sogar nach Berlin (Zentrale der DR) delegiert. Während die Wochen verrannen und unser Antrag durchleuchtet wurde, als bräuchte die Lok eine Baumusterzulassung (sie ist von 1899 bis 1991 auf Staatsbahngleisen unterwegs gewesen), unternahm der Verein weitere Versuche das Verfahren zu beschleunigen. Bei einem Gespräch im Raw Görlitz mit dem Werkdirektor wurde dieser gebeten, sich in Berlin für eine Beschleunigung des Ablaufes einzusetzen. Das Ergebnis dieses Einsatzes war schon einen (!) Tag später auf dem Anrufbeantworter zu vernehmen:
„Derartige Versuche uns zu beeinflussen unterlassen Sie bitte.“
Doch die Zentrale ist groß und mit Einverständnis der „bearbeitenden Stelle“ wurde die Technische Abnahme (ursprünglich und eigentlich ja auch zuständig) noch einmal eingeschaltet:
DR Zentrale: „Eine Probefahrt ist doch kein Problem - Görlitz bekommt den Auftrag eine durchzuführen.“ AIT Görlitz: „Wir können das nicht machen, da ist das nächstliegende Bw (Bw Aue) zuständig.“ Bw Aue: „Das geht nicht, ohne Auftrag aus der Rbd Dresden läuft hier gar nichts.“ Rbd Dresden: „Ohne Zulassung darf die Lok nicht fahren.“
Also war mensch wieder am Anfang und die Lok stand immer noch frisch hauptuntersucht auf dem Transportwagen. Inzwischen wurde die Zeit langsam eng - die Lok sollte schließlich Mitte April im Mansfelder Land fahren und dahin ist es mit der DR auch ein gutes Stück Zeit.
Schließlich wurde den Bearbeitern der ständige Telefonterror aus Jöhstadt wohl doch zu viel und am 31.03. traf die „Zulassung der Dampflokomotive 99 1542 für Fahrten auf den Schmalspurbahnstrecken der Rbd Dresden“ ein. Doch wie jetzt weiter?
Sonderzug ist nicht: „Die Bearbeitung mit Berechnung des Preises und Einlegung des Zuges dauert etwa 3 Wochen.“ Zu spät fürs „Mansfelder Land“, oder die Fahrt mußte dort stattfinden. Anfrage ans Bw Aue: „Eine Lastprobefahrt können wir nicht einlegen.“
Nun war guter Rat nicht nur teuer, sondern notwendig.
Doch Zufall und Reichsbahn halfen. Die für den Bauzugbetrieb notwendige saugluftgebremste Lok (VII K) war seit 2 Monaten überfällig. Man hatte es wohl in der Rbd verpaßt … und so bot man die Lok zur Bauzugfahrt an. Der Bauzug wurde eingelegt und alles schien am 7. April nach einem Ende der Bürokratie auszusehen.
Doch nein! Der Hammer kam 7.30 Uhr. Die Lok war unter Dampf und 8.15 Uhr sollte es losgehen. Doch auch der Chef des Bw Aue hatte noch seine Rolle zu spielen: „Die Lok fährt nicht - es ist kein Personal dafür im Dienstplan vorgesehen!“ Faktisch war dies zwar richtig, aber Führer wie Heizer (Vereinsmitglieder) sind bei der DR als Lokführer auf den Schmalspurbahnen beschäftigt - einer fährt sogar ständig zwischen Cranzahl und Oberwiesenthal. Nur eben machte er die Fahrt in seiner Freizeit. Der eigentliche Grund war, daß sich ein Lokführer der Strecke COw vor Neid und Mißgunst gerührt sah und die Fahrt verhindern wollte.
Doch glücklicherweise gibt es bei der DR auch fortschrittliche Mitarbeiter und ein Anruf aus Dresden in Aue ließ die Lok dann doch fahren. Führwahr, eine schöne Odyssee, oder?
10.06.1993