Kommentar
Viel Geld für eine bessere Eisenbahninfrastruktur und mehr Verkehr
Es kommt leider nicht so häufig vor, dass der Bundesverkehrsminister innerhalb weniger Tage gleich zweimal im Hinblick auf die Eisenbahn und den öffentlichen Verkehr positiv in Erscheinung tritt. Das hatte man dieser Kabinettsfunktion nach all den Aktivitäten der Autolobbyisten auf diesem Stuhl in den vergangenen Jahrzehnten gar nicht mehr zugetraut. Das erste Ereignis, in grenzenloser Bescheidenheit „Schienengipfel des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr“ genannt, gipfelte somit in der Bekanntgabe eines Programmes, dass man gleich mal als das „größte und umfassendste Infrastrukturprogramm für das Schienennetz und die Bahnhöfe“ bezeichnete.
Es geht hierbei um die Sanierung des hochfrequentierten Streckennetzes mit der Aufwertung zu einem Hochleistungsnetz auf rund 9000 Kilometer Länge. Hinzu soll tatsächlich auch die Netzertüchtigung in der Fläche kommen, indem „kapazitätserweiternde Aktivitäten“ wie zusätzliche Überleitstellen, (wieder) mehr Weichen und modernere Signalanlagen ein besseres Zugangebot ermöglichen und dessen Stabilität im Betriebsalltag verbessern sollen. Mit der deutschlandweiten Umsetzung des European Train Control System (ETCS) sollen zusätzliche Kapazitäten im bestehenden Netz durch eine dichtere Zugfolge geschaffen werden. Auch die Modernisierung von Bahnhöfen sieht das Programm vor – dumm nur, wenn der Deutschen Bahn AG (bzw. der ab Anfang des Jahres tätigen Infrastrukturgesellschaft) wie in Sachsen kaum noch Bahnhöfe gehören.
Hoffentlich hat der Verkehrsminister im Voraus mit seinem Parteikollegen im Finanzministerium auch die Bereitstellung der dafür veranschlagten und bekannt gegebenen zusätzlichen 45 Milliarden Euro geklärt. Über Parteigrenzen hinweg scheint diese Vorabklärung ja innerhalb der 3-Parteien-Koalition, wie die interessierte Öffentlichkeit im Frühjahr und Sommer dieses Jahres lernen konnte, nicht immer gesichert zu sein. Die seit dem Starten der Börsengangträume in der Streckensanierung und -ertüchtigung gesparten Mittel sind ja anderswo schon eingesetzt, also wird auch dieses Programm nicht auf Rücklagen, sondern auf Kredit aufgebaut finanziert werden. Doch ohne viel Geld wird es nicht gehen, man kann nur hoffen, dass nicht nur Berater und Anwälte über Effizienz schwafeln, sondern tatsächlich fähige Projektsteuerer für die zahlreichen und komplexen Bauprojekte eingesetzt werden.
Das zweite Ereignis eine Woche nach dem Gipfel in Frankfurt war möglicherweise gar nicht so spektakulär gemeint. Aber der Verkehrsminister hat doch tatsächlich in mehreren Interviews mit Zeitungen in Bezug auf die anschwellenden Klagen zu einer drohenden Unterfinanzierung des „Deutschlandtickets“ ab 2024 gekonnt einen Argumentationstrumpf aus dem Ärmel gezogen, der sicherlich manchem lokalen Verkehrsverbandsfürst das Abendessen nach der Lektüre verdorben haben wird. Man könne doch, so sinngemäß der Minister, einmal die Notwendigkeit von 60 Verkehrsverbünden in Deutschland hinterfragen, wenn man doch mit dem „Deutschlandticket“ insbesondere die Komplexität von Tariffragen im Handstreich gelöst hätte.
Auch wenn er das so noch nicht gesagt hat, schwant sicherlich jedem Landesverkehrsminister, dass der Bund über die Komplementärfinanzierung hier ein Druckmittel in der Hand hat, die der Kirchturmpolitik (wie zum Beispiel im Freistaat Sachsen mit seinen fünf Zweckverbänden – einer davon genau so groß wie der zugehörige Landkreis) der Landräte und Oberbürgermeister endlich Einhalt gebieten könnte. Der in Sachsen zuständige Landesminister hatte ja wegen dieser Klüngelei und mangels eines wirksamen Hebels die Reduzierung der Verbände schon aufgegeben. Kommt jetzt vielleicht aus dem Bund neuer Schwung in dieser Sache? Es bleibt spannend!
17.10.2023