Editorial
Liebe Preß’-Kurier-Leser, sich als Eisenbahninteressierter zu outen (ich meine jetzt nicht im privaten Kreis, da wissen ja die meisten um das spezielle Hobby, mit dem man die Zeit ausfüllt), erzeugt gegenwärtig sehr unterschiedliche Reaktionen der Gegenüber. Das ist Ihnen sicherlich auch schon aufgefallen, stimmts?
Mildes mitleidsvolles Lächeln oder energisches Kopfschütteln – die Spanne ist weitreichend. Schnell kommt man in die Bredouille, zum „Erklärbär“ für das öffentlich wahrgenommene Desaster der Deutschen Bahn zu werden. Von einem „Experten“ ist da vielleicht eine Erklärung möglich, warum eine Fußball-EM in Deutschland nicht per Bahnfahrt für den gewöhnlichen Fußballfan zum Erlebnis werden kann. Oder warum ganze Strecken für mehrere Monate komplett gesperrt werden müssen, wenn es doch nur darum geht, auf diesen ganz normal fahren zu können. Oder warum der große Bahnkonzern Fernverkehrsstrecken ausdünnen will, wenn doch (durch das Deutschland-Ticket) eigentlich viel mehr Menschen mit der Eisenbahn fahren würden (so die Verlautbarungen zum Erfolg des Tickets). Nein, ich springe jetzt nicht auf diesen Zug auf, hier zum „Erklärbär“ zu werden. Wir wissen, dass die Antworten auf diese Fragen teils sehr komplex sind und manche Erklärungen das ganze Heft füllen könnten. Es wäre in der Verantwortung von hochbezahlten Managern im Vorstand der Deutsche Bahn AG und der Verkehrsminister mindestens der vergangenen zwei Jahrzehnte, die Entstehung dieser Missstände zu erklären.
Und hier kommen dennoch wir – mit unserem Hobby „Eisenbahn“ – in das Scheinwerferlicht: Denn die unzähligen Museen, betriebsfähigen Touristik- und Museumsbahnen sowie Vereine in Deutschland, die mit viel Engagement kleine funktionsfähige „Inseln“ einer Eisenbahn erhalten, die vielleicht nicht übermäßig schnell war, aber dafür funktioniert hat, sind extrem wichtig – gerade in einer Zeit, in der der größte Spieler auf dem Markt geschäftsschädigend agiert. Denn solange wir ein Beispiel geben, dass Eisenbahn funktionieren kann – wenn auch vielleicht nur in kleinen Inseln – bleibt der Druck bestehen, dass auch der große Konzern wieder zu einem organisierten System zurückkehren muss. Besucher und Fahrgäste, die ihren Kindern sagen: „So hat die Eisenbahn früher überall funktioniert“, halten diese Erwartungshaltung für einen Systemwandel aufrecht. Während Verkehrsminister der vergangenen Jahrzehnte nie das Gefühl aufkommen ließen, dass die Eisenbahn wirklich systemrelevant sei, wissen wir es besser. Als Eisenbahnfreund leidet man daher umso mehr mit, dass die unzähligen wirtschaftlichen und politischen Fehlentscheidungen der vergangenen Jahrzehnte nun zu einem offensichtlichen Desaster an vielerlei Stellen führen.
Wir haben es ohne Sorge, dass der Platz nicht voll würde, auch in diesem Heft wieder geschafft, von vielen Aktivitäten auf der großen (normalen) und den schmalen Spurweiten zu berichten. Das zeugt von einer sehr lebendigen Landschaft, auch wenn mancherorts die Anzahl der Mitwirkenden aus verschiedensten Gründen weniger werden. Viele Vereine freuen sich sehr über weitere aktive Unterstützung bei der Ausgestaltung von Ausstellungen oder dem Fahrbetrieb.
Vielleicht hilft beim Outen als Eisenbahnfreund deshalb auch gleich der Verweis darauf, dass die nächstgelegene Museumsbahn oder Betreiber historischer Schienenverkehrsmittel gern den Beweis antreten, dass die Eisenbahn grundsätzlich doch noch ein großartiges Erlebnis bieten kann.
Glück Auf!
20.08.2024